Der deutsche Patient

Angenehm geschmackloser Comic in unangenehm geschmack-loser Welt: Walter Moers' „Adolf“  ■ Von Ole Frahm

Äch bin wieder da!“ ruft uns Adolf begeistert zu. Nie war der kleine Mann ganz weg. Er war nur in der Kanalisation untergetaucht, um über seine Fehler nachzudenken. Immerhin hatte er einen ganzen Weltkrieg verloren. Jetzt ist seine Schuld verjährt, und er kann als Comic-Figur Karriere machen: „Äch bin wieder da!“ grüßt uns der Führer auf dem Cover von Walter Moers' Comic Adolf.

Seit seinem Selbstmord verfolgt uns der Mythos Adolf Hitlers samt albernem Scheitel und gestutztem Schnurrbart – allen Versuchen zum Trotz, ihn zu verlachen. Waren Charlie Chaplins und Mel Brooks Scherze über den Führer darum vergeblich? Waren sie sogar verwerflich, weil sie – wie Alvin Rosenfeld in seinem Buch Imagining Hitler allen Parodien Hitlers vorgeworfen hat – uns den historischen Hitler vergessen lassen?

Wenn Moers den wiedergekehrten Adolf Tamagotchi spielen, Crack rauchen und den zur Frau umgewandelten Göring ficken läßt, erinnert wenig an seine faschistische Vergangenheit. Allerdings will Adolf beim Monopoly immer noch lieber KZ's als Hotels bauen und schreit cholerisch „Die Jodn!!“, wenn er „Hey Jude“ von den Beatles hört. Moers' Thema ist die Selbstverständlichkeit, mit der Hitler wieder da sein kann, mit der er sich als „deutscher Patient“ oder als Gast im Kochstudio des Alfred Biolek in der gegenwärtigen Welt bewegt. Auf subtile Weise reflektiert der Comic-Zeichner in seinen angenehm geschmacklosen Witzen den unangenehm geschmacklosen Umgang mit dem wiedererstarkten Neo-Nazismus in unserer wiedervereinigten deutschen Nation.

Dabei leidet der in politischen Fragen schlechte Berater „Betroffenheit“ am meisten unter Moers' Parodie. Betroffenheit hat viele Gesichter. Moers ist keins heilig. Wer sich über Hitler amüsieren will, für den sind Lady Di und Mutter Theresa die richtigen Sparringspartner. Die Königin der Herzen hat ihren Tod fingiert, um die Welt zu vernichten. Sie entführt Adolf mit der Air Force One, zwingt ihn, den roten Knopf zu drücken. Doch Adolf wägt ab: „Einerseits ... ein neuer Wältkräg wäre eine neue Chance ... Andererseits ... Wältkräg hab äch schon gemacht, das äst also keine echte Herausforderung.“

Mutter Theresa ist ebenfalls am Leben geblieben. Außerirdische Soziologiestudenten haben sie durch eine genetische Kopie ersetzt, um die echte mit Adolf zu paaren: „Den verdorbendsten Mann und die moralisch integerste Frau des Jahrhunderts. Das ergibt völlig ausgeglichene Gene! Der erste wirklich perfekte Mensch!“

Moers' hysterische Parodie überbietet sich Seite für Seite. Was der Dramaturgie schadet, nutzt dem Gelächter. Der inkorrekte Humor braucht sich in unserer inkorrekten Gesellschaft moralisch nicht zu rechtfertigen. Die Witzfiguren in Adolf weisen unter Verzicht auf jede Pädagogik darauf hin, daß mehr im Argen liegt als das Verhältnis zur Geschichte. Sie wird nicht relativiert, sondern in ihrer Gegenwärtigkeit herausgestellt.

Der Mythos Hitler läßt sich nicht kaputt-, aber immer wieder lächerlich machen. Das ist der labile Wert der Parodie, der die historische und politische Auseinandersetzung nicht erübrigt, vielleicht aber – und das ist eine selten genutzte Chance – erleichtert. Moers beklagt nicht wie viele andere scheinheilig die Opfer des NS, um das schlechte Gewissen zu beruhigen, sondern macht den Tätern eine lange Nase.

Außer den LeserInnen der Titanic, die den Vorabdruck des Comics goutieren konnten, hat wohl kaum jemand erwartet, daß der seit zwei Jahren in Hamburg zurückgezogen lebende Walter Moers noch einmal eine so rasend komische, eine so wichtige Arbeit abliefern würde.

Walter Moers: „Adolf“, Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1998, 72 Seiten, 24,80 Mark