■ Ende der Eiszeit: Nach Monaten der offenen Konfrontation haben IG-Metall und Gesamtmetall wieder zum Gespräch gefunden
: Metaller mit neuem Dreh

Ende der Eiszeit: Nach Monaten der offenen Konfrontation haben IG-Metall und Gesamtmetall wieder zum Gespräch gefunden

Metaller mit neuem Dreh

Ganz entspannt saßen die einstigen Kampfhähne in Sulzbach zusammen. Dabei hatte Klaus Zwickel, mächtiger Chef der Industriegewerkschaft Metall (IG-Metall) noch vor wenigen Monaten geraunzt, das „Ende der Bescheidenheit“ sei gekommen. Die miese Stimmung war am Dienstag verflogen. Bevor sich die Türen im Tagungshotel schlossen, streckte Zwickel seinem Gegner die Hand entgegen. Werner Stumpfe, Boß von Gesamtmetall, dem stärksten Arbeitgeberverband von Deutschland, schlug ein.

Sechs Stunden dauerte das Gespräch der Bosse. Es war ihr erstes Spitzengespräch, bei dem nicht die Fetzen flogen, wie beispielsweise 1996, als es um die Lohnfortzahlung ging. Seit vorgestern präsentieren sich Stumpfe, Zwickel und Anhang als neue Partner, die gemeinsam handeln wollen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Im Konsens wollen Gewerkschaften und Arbeitgeber aus der Krise kommen. Ganz ähnlich wie in den Niederlanden.

Zunächst soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt werden, welche die Krise in Deutschland analysieren und bewerten muß. Ein „gemeinsamer Workshop“ wird prüfen, ob die niederländischen Methoden (siehe Kasten) zur Schaffung von Arbeitsplätzen auch für die hiesige Elektro- und Metallbranche taugen. Das Ergebnis der Suche soll nach der Bundestagswahl, Mitte Oktober vorgestellt werden. Die Tarifparteien empfehlen den Betrieben zudem Konkretes: Etwa einen sogenannten konditionierten Ausbildungsvertrag für benachteiligte Jugendliche. Wer einen solchen Vertrag bekommt, muß zuerst im Betrieb ein Praktikum als Berufsvorbereitung absolvieren. Danach verpflichtet sich der Betrieb, den Jugendlichen in einem anerkannten Beruf auszubilden.

Bemerkenswert ist, daß sich die Kontrahenten überhaupt zu diesem Thema zusammengesetzt haben. Es sei nicht der Beginn einer neuen Freundschaft, bemerkte IG- Metall-Vize Walter Riester gestern, doch sei ein „produktiver Dialog“ in Gang gesetzt worden. Trotz allem Neuerungswillen, der Flächentarifvertrag sei nicht gefährdet. Allerdings soll der, ganz im Sinne von Riester, flexibler werden.

Als Beispiel dafür könnte der Tarifabschluß bei der High-Tech- Firma Debis stehen. Einer der Kernpunkte ist die völlige Neugestaltung der Arbeitszeit. Wenn die Projekte es erfordern, können 40 und mehr Stunden in der Woche gearbeitet werden. Mitarbeiter, die 10 Jahre im Betrieb oder älter als 50 Jahre sind, können ihre Arbeitszeit auf 35 Stunden reduzieren, ohne Gehaltseinbuße. Darüber hinausgehende Stunden werden auf Langzeitkonten gespart – sei es für den vorzeitigen Ruhestand oder für die Fortbildung. Debis gilt als Beispiel dafür, wie die IG-Metall den Weg von der Konfrontation zum Konsens gefunden hat. Auch das erinnert an die Niederlande.

Seit dem Kriegsende kooperieren Arbeitgeber und Gewerkschaften in den Niederlanden miteinander. In einer „Stiftung der Arbeit“ diskutieren sie über fundamentale Grundfragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. In halbjährlichen Verhandlungen treffen sich der Ministerpräsident, die Minister für Finanzen, Wirtschaft, Soziales und Arbeit sowie Inneres. Das Gremium verfügt über ein hohes Ansehen in der niederländischen Bevölkerung. Die Regierung bildete außerdem 1950 den Sozialökonomischen Rat (SER), in dem auch Mitglieder von Banken sitzen. Ergänzt wird die Beratertätigkeit durch das Zentrale Planbüro, das ständig aktuelle Zahlen und ökonomische Analysen als Diskussionsbasis liefert.

Eine ähnliche Institution wie die „Stiftung der Arbeit“ in den Niederlanden kann sich der IG- Metall-Vize Riester auch in Deutschland vorstellen, „allerdings nicht genau in dieser Form“. Der mögliche SPD-Arbeitsminister liebäugelt mit einer „Einrichtung, die die Chance bietet, über wichtige Fragen zu sprechen“. Die „Sprachlosigkeit“ zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften sei häufig „irrational“. Gäbe es ein ständiges gemeinsames Gremium, bekäme man mit, „in welchen Strukturen sich die andere Seite bewegt“.

Die jüngeren Erfahrungen mit Konsensrunden und „Bündnissen“ sind allerdings eher schlecht. Das von Klaus Zwickel vorgeschlagene „Bündnis für Arbeit“ scheiterte: Es kamen zwar moderate Lohnerhöhungen, aber keine neuen Jobs. Die darauf folgenden „Kanzlerrunden“ brachten gleichfalls wenig: Trotz gewerkschaftlicher Proteste wurde das Gesetz zur Lohnfortzahlung bei Krankheit geändert. Annette Rogalla

Barbara Dribbusch