Kommentar
: Respekt und Anstand

■ USA: Staatliche Kulturförderung wurde faktisch abgeschafft

Private Sponsoren können von den Gesponserten Wohlverhalten erwarten. Anders verhält es sich bei staatlichen Hilfen. Nach europäischem Verständnis sponsert der Staat die Kultur nicht, er fördert sie. Und wenn er die eine Kunst fördert, kann er die andere nicht so einfach ausschließen. Anders in den USA. Seit vorgestern darf die National Endowment of the Arts (NEA) nur noch solche Kunstwerke unterstützen, die „Anstand und Respekt für die Werte und religiösen Überzeugungen der amerikanischen Öffentlichkeit“ zeigen. Falls die NEA künftig überhaupt noch Mittel, selbst für die patriotischste aller Künste, hat. Nur zwei Tage vor der einstimmig gefällten Entscheidung des Supreme Court, daß die Verpflichtung zu „Respekt und Anstand“ keineswegs eine Zensur und eine Verletzung der Meinungsfreiheit darstellt, wurde im Kongreß ein Gesetz eingebracht, das das vollständige Ende der Kunstförderung durch die NEA vorsieht.

Es könnte sich durchaus um eine konzertierte Aktion handeln, das leidige Problem mit der Kunst überhaupt loszuwerden: Wenn man der Nichtförderung „unamerikanischer“ Kunst kein staatliches Programm zur Förderung von Propagandakunst entgegen setzen kann, streicht man die Kulturförderung eben ganz.

Die Auswirkungen der Gesetzesvorlage und der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sind für die oppositionelle Kunstszene in den USA eher gering zu veranschlagen. Großer Protest ist nicht zu befürchten. Auch nicht von den vier Performance-Künstlern, die 1990 gegen die Regelung geklagt hatten, da sie ihrer Meinung nach mit dem First Amendment, dem Recht auf freie Meinungsäußerung, kollidiere. Sie hatten niemals Förderung bekommen noch je beantragt. Die Museen haben sich ohnehin schon seit längerem umorientiert. Das Guggenheim Museum steht paradigmatisch für die Auffassung von Kunst als schierer Investition. Und wenn Andres Serranos pissender Christus, der 1989 zur Formulierung der „Decency“-Regelung führte, 1999 hoch im Kurs steht, dann macht das Guggenheim seine große Serrano-Schau, und niemand wird es daran hindern. Die Zeiten sind in der Tat zynischer, als man denkt, auch wenn die Kunst nicht auf „Armbändern und Fußböden zerbröselt“ (Goethe), sondern unter dem Druck der konservativen Reaktion und einem allzu effektiven Kunstmanagement. Brigitte Werneburg