■ Lebed erhielt gestern den renommierten Hessischen Friedenspreis
: Eine richtige Wahl

Für den Hessischen Friedenspreis wären zwei russische Politiker in Frage gekommen. Der andere ist der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte des russischen Präsidenten, Sergej Kowaljow. Er hatte während des Krieges in Tschetschenien beherzt die russischen Menschenrechtsverletzungen angeprangert. Es ist auch ihm zu verdanken, daß die Welt von Verbrechen der russischen Seite erfuhr. Der ehemalige und neue Dissident Kowaljow gehörte zu jenem kleinen, aber beeindruckenden Teil der russischen Gesellschaft, der gegen staatliche Unterdrückung ankämpft.

General Lebed ist aus anderem Holz geschnitzt. 1996 gelang es ihm, als frisch ernannter Sicherheitsberater des russischen Präsidenten den Tschetschenienkrieg zum Stillstand zu bringen – gegen den Widerstand einer mächtigen Gewaltfraktion innerhalb der russischen Führung, zu der auch Jelzin gehörte.

Lebed konnte sich durchsetzen, weil er gerade Jelzin zum Wahlsieg verholfen hatte. Zweitens gewann er rasch das persönliche Vertrauen der tschetschenischen Unterhändler. Auch sie waren und sind keine Demokraten. Lebed leuchtete ihnen als Typ ein, gerade weil er die Welt öffentlich in halbfeudalen, militärischen Kategorien beurteilte: in solchen der persönlichen Ehre und des Vertrauens einerseits, in solchen der schneidigen Effizienz andererseits. Kowaljow und Lebed repräsentieren unterschiedliche Aspekte des politischen Spektrums in Rußland. Der Menschenrechtler vertritt jene, die mit dem Untergang des Kommunismus die Hoffnung auf eine Ära der Gerechtigkeit und Wahrheit verbanden. Heute sind sie wieder isoliert. Ihre – wie Zyniker sagen würden – antipolitische Moralität machte sie unfähig, gegen ihr Gewissen um die Macht zu taktieren.

Lebed ist in anderer Weise scheinbar unpolitisch. Er stellt den auf Ordnung und Tüchtigkeit bedachten, ehrlichen und energischen Sohn des Volkes dar, der das Wohl des Vaterlandes in seine starken Hände nehmen wird. Damit kommt er an. Natürlich ist Lebed ebenso undemokratisch wie die Wählerschaft, die ihn idealisiert. Was aber erwartet man in einem Land, in dem die Bezeichnung „Demokrat“ wirkungsvoll eingesetzt wird, um Konkurrenten zu diskreditieren?

Kowaljow wäre in der Tat eine Alternative zu Lebed gewesen. Aber die Entscheidung für Lebed ist, gerade weil sie umstritten sein kann, politisch eindeutig. Auch jene verdienen Ehre, die erstens so mächtig sind, daß sie den Frieden durchsetzen können, und die es zweitens auch tun. Erhard Stölting

Der Autor ist Professor für Soziologie in Potsdam