Weiter Talfahrt im Baugewerbe

■ Durchschnittlich haben Betriebe noch Aufträge für zwei Monate. Ein Grund: Normalisierung nach außergewöhnlicher Konjunktur. Unternehmer protestierten gegen Billigkonkurrenz

Horst Seefeld würde „gerne wieder Bauunternehmer sein“. Wie früher, als sein Betrieb 130 Leute beschäftigte. Heute stünden dagegen nur noch fünf Angestellte auf seiner Lohnliste, erklärte Seefeld am Rande der Unternehmer- Demonstration, die gestern mit Lastern und Baggern zum Bundesbauministerium im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude rollte. Um dem Konkurs auszuweichen, hat der Firmenchef sein eigenes Personal durch Leiharbeiter und billige Subunternehmer ersetzt. Jetzt arbeitet Seefeld im wesentlichen als Projektentwickler, der den Bau organisiert, aber nicht mehr selbst hochzieht. Immerhin hat der Betrieb überlebt – im Gegensatz zu vielen anderen. Pro Jahr müssen in Berlin und Brandenburg etwa 1.000 Bauunternehmen Konkurs anmelden. Heute sind noch rund 22.000 am Markt. Doch die Zahl droht weiter zu sinken. Anders als in den westlichen Bundesländern „ist die Talsohle in der ostdeutschen Bauwirtschaft noch nicht erreicht“, weiß Heiko Stiepelmann vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

Die Bauproduktion wird 1998 in Ostdeutschland und Berlin weiter zurückgehen, die Arbeitslosigkeit stieg schon im Mai auf 119.000 Personen (mehr als 30 Prozent der Beschäftigten der Branche), und die Auftragslage läßt kaum Besserung erwarten. Durchschnittlich reichen die abgeschlossenen Verträge nur noch, um den jeweiligen Betrieb zwei Monate über Wasser zu halten.

Das Mißverhältnis zwischen Arbeitsangebot und Nachfrage kommt in einem Zahlenvergleich zum Ausdruck: Während Westfirmen pro Auftragsmillion durchschnittlich neun Beschäftigte bezahlen, sind es im Osten 17 Leute. Rein rechnerisch würde damit in den östlichen Ländern noch jeder zweite Bauarbeiter den Job verlieren. Aber, so analysiert Stiepelmann, die Talfahrt werde keineswegs nur von der Billigkonkurrenz ausländischer Firmen und Arbeiter im Europa der offenen Grenzen hervorgerufen. „Wir haben es auch mit einer Normalisierung zu tun.“

Das „Strohfeuer“ der östlichen Baukonjunktur, angeheizt durch milliardenteure Steuerabschreibungen und einen riesigen Nachholbedarf bei Gebäuden und Infrastruktur, erlösche allmählich. Stiepelmann: „Man braucht jetzt nicht noch mehr Banken und Supermärkte.“ Berlin mit seinen vielen privaten Großprojekten ist da zwar eine Ausnahme, doch macht sich hier das Wegbrechen öffentlicher Aufträge im Straßenbau bemerkbar. Die Staatskassen sind leer.

Ein weiterer Punkt, den die Baubetriebe gerne unterschlagen: Gerade in Berlin haben viele Firmen seit der Wende vergessen, ihre Arbeitsmethoden zu modernisieren und neue Produkte zu entwickeln. Das analysierte unlängst das an der Spree ansässige Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Die geringe Innovationsbereitschaft des Baugewerbes in der Region vergrößert zunehmend die Abhängigkeit der heimischen Betriebe von auswärtigen Baukonzernen“, schreiben die DIW-Mitarbeiter Ingo Pfeiffer und Peter Ring. Dadurch würden sie in die Rolle von Subunternehmern gedrängt, die dem gnadenlosen Preiswettbewerb leicht zum Opfer fallen. Hannes Koch

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