Ein Maisfarmerdrama irgendwo in Iowa

■ Jocelyn Moorhouse' „Tausend Morgen“ zeigt Bilder purer Gelassenheit, hinreißend unprätentiöse Einstellungen, aber ihre großen Hollywoodstars bekommt sie nicht in den Griff

Die Familienhölle als Brutstätte lebenslanger Seelenpein: davon erzählt „Tausend Morgen“. Die Eckdaten der Story wirken dabei wenig verlockend. En Maisfarmerdrama irgendwo in Iowa. Ein Vater, drei Töchter. Er plant die Teilung und Schenkung der Farm, ein auf den ersten Blick großherziger Gedanke, der aber alte Kindheitswunden aufreißt. Unter der spießigen Oberfläche, dem Wohlstand, der äußeren Ruhe und Beschaulichkeit des Farmerlebens ist wenig Idylle. Als Teenager wurden die ältesten Töchter vom Vater mißbraucht. Das vom Vater in ihnen begonnene Zerstörungswerk ist immer noch wirksam: der einen gelingt schließlich ein trauriger Akt der Befreiung, die andere stirbt.

Ein seltsamer Film, fast wie dreigeteilt: Da ist die hochdramatische Geschichte nach Shakespeares „König Lear“, die in der Filmadaption aber eher den Charakter eines O'Neill-Stückes gewinnt. Und da ist die sich die Seele und jeden Tränentropfen aus dem Leib spielende Schauspielerriege. Auf der anderen Seite – die Bilder: pure Gelassenheit, phantastische, geradezu hinreißend unprätentiöse Einstellungen. Die Schauspielerinnen, große Hollywoodstars, zeigen ungeschminkte Gesichter: Jessica Lange. Michelle Pfeiffer, Jennifer Jason Leigh. Sie tragen die schlichtesten Kleider. Glamouröse Selbstinszenierung fehlt völlig.

Dann die Landschaft, spektakulär unspektakulär. Sie ist weit und flach, es gibt nichts als Felder, Wiesen, unendliche graue Straßen und ernüchternde Elektrizitätsleitungen. Pathos der Nüchternheit. Die Horizontalen sind stark betont, ziehen jedes Bild optisch in die Länge, dehnen es aus, lassen die Menschen darin fast verschwinden. So sachlich erscheinen auch die Innenräume, puristisch, ohne jeden Überschwang, auf dem schmalen Grat zwischen Entspanntheit und Freudlosigkeit. Der Tisch ohne Decke, der Stuhl ohne Kissen, das Fenster ohne Blumen. Die Ausstattung, die Landschaften, die Art ihrer Inszenierung lassen den Film noch eine Weile in der Erinnerung fortleben. Jak Fujimoto (Silence of the Lambs, Philadelphia) hat ihn fotografiert.

Problematisch aber ist das Was und Wie der Vorgänge zwischen den Figuren. Wo die Bilder und Kulissen mit Zurückhaltung aufwarten, greifen die Darsteller in die vollen. Pausenlos wird gestritten, gestanden und geweint. Unmöglich, den hochgekochten Dauerfrust mitfühlend nachzuempfinden. Gedeiht bei den leblosen Gegenständen so viel schöne Zurückhaltung, so wird sie bei den Figuren mit ebensolcher Vehemenz über Bord geworfen.

Dabei ist die Handlung als solche schon hinreichend psychokatastrophenbefrachtet: als ob Inzest, Wahnsinn, Betrug, lodernder Haß, Geldgier, Lebensfrust und tödliche Krankheiten und einsame Abschiede noch eigens mit schwerer Betonung versehen werden müßten. Die Dauertrauerspannung ebnet schließlich jede emotionale Suggestivität ein. Schade drum. Denn unterhalb des ständig lodernden Verhängnisses enthält „Tausend Morgen“ eine ganz unkitschige Emanzipationsgeschichte, die sich zumindest für eine der drei Schicksalsschwestern verwirklicht. Es ist, ganz Hollywood-untypisch, kein triumphaler Siegeszug, wie etwa selbst noch im Todesflug bei „Thelma und Louise“. Die Emanzipation, von der hier erzählt wird, ist ein hart erkämpfter, langer Abschied von der Unterdrückung; eine Entlassung aus dem Seelengefängnis. Die Freiheit ist zu mühsam errungen, zu teuer bezahlt, um darüber jubeln zu können. Aber immerhin, die Freiheit ist es doch. Marion Löhndorf

„Tausend Morgen“. Regie: Jocelyn Moorhouse. Mit Michelle Pfeiffer, Jessica Lange, Jason Robards, Jennifer Jason Leigh, USA 1998, 102 Min.