Wirtschaftserfolge, die für Ärger sorgen

■ Das bayerische Kultusministerium rühmt sich massiver Einsparungen bei Planstellen. Doch viele Lehrer reagieren empört: Die Zahlen belegen die steigende Arbeitslosigkeit bei Pädagogen

Nürnberg (taz) – Seit Wochen geht in Bayern Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) mit einer „Bildungsoffensive“ des Freistaats hausieren. Doch eine Zahl will sich nicht recht fügen ins staatlicherseits verbreitete Bild von einer rosigen Zukunft für den Bildungsstandort Bayern: 4.300 arbeitslose Junglehrer gibt es derzeit landesweit – und die Zahl wird immer höher. Infolge von Stundenkürzungen in den Lehrplänen und Erhöhung der Pflichtstundenzahl für Lehrer werden es im nächsten Schuljahr 4.500 sein. Entwicklung weiter steigend, obwohl Bayern in nahezu allen Schularten bundesweit die höchsten Schülerzahlen pro Klasse aufweist. 157.000 Kinder sitzen derzeit in Klassen mit über 30 Schülern.

Interne Unterlagen aus dem Kultusministerium machen keinen Hehl aus einer Entwicklung, die die Beamten als Einsparungserfolge bei den Planstellen werten. In den letzten acht Jahren habe man in den bayerischen Schulen „9.300 Stellen für Lehrer erwirtschaftet“, zitiert der Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Albin Dannhäuser, aus dem Material des Ministeriums.

Dort weist man die Zahlen über arbeitslose Junglehrer als „ungesicherte Prognose“ zurück. Bei den Arbeitsämtern seien lediglich knapp 1.900 Lehrer arbeitslos gemeldet, also gebe es keinen Grund zur Beunruhigung. „Semantische Spitzfindigkeiten“, empört sich Dannhäuser. Viele Junglehrer seien eben gezwungen, Arbeit in anderen Bereichen aufzunehmen: „Sie sind aber ausgebildet für die Schule und nicht als Staubsaugervertreter oder Buchverkäufer.“

Insbesondere die Stundenkürzungen an den Grund- und Hauptschulen bezeichnet der Chef der bayerischen Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Georg Wiesmaier, als „elegante Methode der Lehrereinsparung“. Durch den ab diesem Schuljahr gültigen Lehrplan an der Hauptschule wurde der Pflichtstundenunterricht um insgesamt zwölf Stunden gekürzt. Hauptschulabsolventen geht dadurch ein ganzes Schuljahr Deutsch verloren. Die Fächer Physik, Chemie und Biologie wurden zum Fach „PCB“, Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde zu „GSE“ zusammengelegt und jeweils um eine Stunde pro Jahrgangsstufe gekürzt.

Allein durch diese Lehrplanumgestaltung fallen 500 Lehrerplanstellen weg, hat der BLLV ausgerechnet. Die Kürzung von acht Unterrichtsstunden in der Grundschule in den letzten Jahren hat 1.400 Planstellen gekostet, die Kürzung der „Mobilen Reserve“ weitere 350. Die Erhöhung der Unterrichtspflichtzeit für alle Lehrer um eine Stunde verwehrte rund 1.000 ausgebildeten Junglehrern den Berufseinstieg, und das für 1999 geplante Arbeitszeitkonto wird noch einmal 800 Stellen kosten.

Schon jetzt findet nicht einmal jeder zehnte Absolvent eines Lehramtsstudiums für Grund- und Realschulen sowie für Gymnasien eine Anstellung in der Schule. Erstmals in diesem Jahr stehen auch frischausgebildete Hauptschullehrer auf der Straße. Um den Standard von 1989 bezüglich Stundenzahl und Klassenstärken wieder zu erreichen, würden mittlerweile 16.000 Stellen gebraucht, bilanziert BLLV-Chef Dannhäuser.

Nur 2.500 neue Zweidrittelstellen werden es aber bis zum Jahre 2002 sein, haben Ministerpräsident Stoiber und Kultusminister Hans Zehetmair vor sechs Wochen nach massiven Protesten von Schülern, Lehrern und Eltern als „Pakt für Bildung“ verkündet. Im Nachtragshaushalt 1998 wurden für das im Herbst beginnende neue Schuljahr 500 Zweidrittel-Lehrerstellen genehmigt und weitere 2.000 Zweidrittelstellen in Aussicht gestellt. „Nicht recht viel mehr als Schadensbegrenzung“, nennt Dannhäuser die Stoibersche Offensive, zumal auch eine Staatsregierung künftigen Haushalten nicht vorgreifen könne.

Ein Ausweg für arbeitslose Junglehrer wäre die Ausweitung von Altersteilzeit oder Teilzeitbeschäftigung. 2.000 Junglehrer könnten dadurch angestellt werden, ergab eine von der GEW in Auftrag gegebene Studie Ende April. Doch die Staatsregierung weigert sich beharrlich, ihre Personalpolitik entsprechend zu ändern. Bernd Siegler