■ Kosovo-Konflikt: Das Treffen Jelzin/Milošević endet doppelbödig
: Die russische Zwiespältigkeit

Die Moskauer Führung hat erreicht, was sie wollte: Im Kosovo-Konflikt wird verhandelt – es soll zu Verhandlungen kommen. Auf keinen Fall soll es Gewalt im Kosovo geben. Jedenfalls keine gegen Serbien. Und wieder einmal will jeder offenbar nur Frieden und Verhandlungen.

Doch was als Ergebnis der Verhandlungen angestrebt wird, ist undeutlich. Gegen die Unabhängigkeit des Kosovo hat sich der Westen bereits zu Beginn der jetzigen Militäraktionen ausgesprochen. Damit konnte die serbische Seite ihre Gewaltaktionen als antiterroristische „Befriedungsaktionen“ ausgeben. Das serbische Maximalziel wäre die völlige Vertreibung der Albaner; das Minimalziel ist wahrscheinlich eine Teilung, bei der der reiche Teil des Landes ethnisch gesäubert wird und serbisch bleibt.

Die Autonomierechte der Zeit vor 1989 wieder in Kraft zu setzen oder Kosovo neben Montenegro gar als binationalen Bundesstaat der Republik Jugoslawien zu akzeptieren, würde dem Westen recht sein. Aber diese Lösung ist weder von serbischer noch von kosovo-albanischer Seite her noch denkbar. Das Moskauer Treffen bringt also nicht mehr als eine Atempause.

Der Westen droht derzeit, das Ende der serbischen Gewalt gewaltsam durchzusetzen. Die russische Führung war friedfertiger und bot sich damit als Vermittlerin an. Allerdings geriet sie so in eine unbehagliche Position: Sie sollte Milošević von Gewaltlösungen abbringen, die ihr doch selbst nahelagen. Sie sollte zugleich westliche Erwartungen erfüllen, die sie wahrscheinlich nicht besonders gut verstand, ja, die sie im Grunde sogar mißbilligte. Aber gutes Westwetter ist angesichts der russischen Finanzkrise überlebenswichtig. Das war und ist die Ausgangslage für alle Moskau-Diplomatie: Die russische Regierung muß den Westen zufriedenstellen, ohne die heimischen proserbischen Patrioten zu vergrätzen.

Aber die russische Seite ist mit den Finessen öffentlicher und nichtöffentlicher Positionen und den Ambivalenzen und doppeldeutigen Botschaften der westlichen Politik vertraut. Das westliche Entsetzen ist mit Sicherheit auch bei den involvierten Politikern echt. Doch die eigenen Gefühle sind auch in der internationalen Politik weniger wichtig als die des Wahlvolkes.

Und das fühlt möglicherweise etwas anders. Denn erstens ist die politische Ablehnung der Gewalt auch dadurch bestimmt, daß die Öffentlichkeit Terror verabscheut. Zweitens drohen die Flüchtlingsströme auch Westeuropa und vor allem Deutschland zu erreichen, wie Außenminister Kinkel erkannte; das könnte zu Hause Probleme schaffen. Drittens: Solange die Führung der Kosovo-Albaner demonstrativ friedfertig auf Veränderungen drängte, wurde sie nicht beachtet. Nun ist es, als wollte der Westen allen sinnfällig vor Augen führen: Ohne Gewalt gibt es keine Verhandlungen und keine friedlichen Lösungen. Das aber läßt sich öffentlich nicht sagen, denn es ist ganz und gar zynisch.

Bei den Verhandlungen zwischen den Brudernationen Serbien und Rußland ist die Doppelbödigkeit von „Friedensprozessen“ mit zu bedenken. Aber eine Doppelbödigkeit, die zu friedlichen Lösungen führt, wäre immer noch hilfreich, wenn sie Terror beendete. Aber auch nur dann. Doch gegenwärtig scheint der internationale Friedenswille so schwach zu sein, daß er die Massaker nicht bremsen kann. Erhard Stölting

Der Autor ist Professor für Soziologie in Potsdam