Italien experimentiert mit Sozialhilfe

■ Erstmals gibt es Stütze. Das Projekt ist befristet und auf einige Gegenden begrenzt

Rom (taz) – Der 28. jeden Monats, wenn Giovanna D'Illibero zum Postamt stapft und ihre Rente abholt, ist immer ein Tag der „Wut und Trauer“: 241.000 Lire erhält sie, umgerechnet gerade mal 250 Mark, „das reicht nicht mal für eine anständige Beerdigung“. Nur um ein paar Lire sei die Rente in den letzten Jahren gestiegen, dagegen „die Miete in vier Jahren aber um 50 Prozent“, obwohl sie in einem Sozialbau haust, eineinhalb Zimmer, Brikettheizung, Wasser und Klo auf dem Flur.

Doch Ende Mai kam Giovanna geradezu high ins Postamt: „Habt ihr gehört?“ fragte sie die LeidensgenossInnen mit ebenfalls winzigen Renten, „Prodi will uns Hungerleidern eine halbe Million Lire garantieren!“ Die Begeisterung war einhellig: Tatsächlich hatte die Mitte-Links-Regierung, wohl auch als Folge des Einbruchs bei den Kommunalwahlen im Mai, die Einführung einer Art Sozialhilfe versprochen. Dies ist für Italien ein geradezu revolutionärer Akt, denn bisher war der Staat grundsätzlich davon ausgegangen, daß sich die Armen im Lande schon irgendwie durchwursteln werden.

Arbeitslosengeld oder -hilfe wie in Zentraleuropa gibt es nicht, nur wer in großen Industriebetrieben gearbeitet hat, kann über die „Cassa integrazione“ einige Zeit noch Arbeitslosenhilfe beziehen, muß aber dem bisherigen Betrieb jederzeit verfügbar bleiben. Nimmt er andere Arbeit an, auch nur zeitlich befristet, ist die „Cassa integrazione“ futsch. Sozialhilfe als solche war gänzlich unbekannt.

Irgendwie hielt das soziale Netz die Menschen auch tatsächlich immer irgendwie noch über Wasser. Töchter oder Söhne, Neffen oder auch liebe Nachbarn halfen aus. Doch die Dauerarbeitslosigkeit hat die Ressourcen der Familien aufgebraucht und niemand hat mehr etwas abzugeben. Und die zunehmende Mobilität der Gesellschaft hat die alten nachbarschaftlich organisierten Hilfen zerrissen. Man kennt sich nicht mehr wie vordem ein Leben lang. Die neben Giovanna wohnende Familie stammt aus Albanien und hat selbst kaum etwas zu beißen, die Mieter im Stock darunter sind beide krank, der Enkel, der bisher aus dem Supermarkt, in dem er gearbeitet hat, billiger Konserven nahe dem Verfallsdatum abgestaubt hat, schafft nun in einem Sägewerk. Die Garantie eines Mindesteinkommens von umgerechnet 510 Mark für alle wäre für Giovanna eine glatte Verdoppelung ihres Einkommens.

Doch der Postbeamte, den sie nun täglich fragt, wann das Geld denn kommt, mußte ihr nun eine üble Mitteilung machen: Giovanna hat sich zu früh gefreut. Die Einführung der Sozialhilfe, vorsorglich sowieso nur ein „Experiment“ und auf zwei Jahre begrenzt, wird auf bestimmte geographische Gebiete eingeengt.

Es genügt also nicht, arm zu sein, man muß auch noch in der richtigen Gegend wohnen. 30 Tage haben die Gemeinden Zeit, sich zu erklären, ob sie dazugehören. Rom, Hauptstadt und auf dem Marsch zum beglückenden Heiligen Jahr 2000, wird sich ebenso wie etwa das geldprotzige Mailand oder das industrieträchtige Turin schon aus Prestigegründen nicht zur „Armutsgegend“ erklären. Giovanna wird leer ausgehen. Sie schluchzt, der Beamte tröstet sie: „Wirst sehen, auch die anderen, die am Ende ein Recht auf das Geld kriegen, müssen auch noch Jahre warten, bis das alles anläuft.“ Werner Raith