“Nur Widerstände und bornierter Neid...“

■ Deutsche Erstaufführung in Oldenburg: In der Uni wird die erste Sinfonie der fast unbekannten Louise Farrenc gespielt / Anlaß: Farrencs gesammelten Werke erscheinen

„Auf nach Oldenburg!“ war im vergangenen Jahr in der ZEIT anläßlich der Uraufführung der Oper „Die Wände“ der rumänischen Komponistin Adriana Hölszky zu lesen. „Auf nach Oldenburg!“ ist nun erneut zu rufen, denn heute abend um 20 Uhr findet zur Einweihung des neu eröffneten Hörsaalzentrums der Universität eine Aufführung statt, die im sinfonischen Konzertleben Folgen haben dürfte: 153 Jahre nach ihrer Uraufführung erfährt die erste Sinfonie der französischen Komponistin Louise Farrenc von der Radiophilharmonie Hannover des NDR unter der Leitung von Johannes Goritzki ihre deutsche Erstaufführung. Anlaß ist ein Riesenprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Die Gesamtausgabe der Werke von Louise Farrenc (1804-1875), die in Oldenburg entsteht und im Wilhelmshavener Florian Noetzel-Verlag erscheint.

Freia Hofmann, Professorin an der Oldenburger Universität und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Christin Heitmann und Katharina Herwig geben in drei Abteilungen drei Sinfonien und zwei Ouvertüren, sieben Bände Kammermusik und zwei Bände ausgewählte Klavierwerke heraus. „Die Quellenlage ist relativ einfach, Farrenc hat eine sorgfältige Handschrift,“ erzählt Christin Heitmann, „und nahezu alles liegt in Paris“. Arbeitsfeld der Edition ist über die Notenausgabe heraus die Klärung von Lebensumständen, Aufführungen und dergleichen mehr. „Es ist seltsam“, sagt Freia Hofmann, „im Verhältnis zur Qualität ihrer Werke wissen wir fast nichts von ihr. Es gibt keine Tagebücher, es gibt keine Briefe.“ „Und dann steht in der großen Enzyklopädie „Musik in Geschichte und Gegenwart“ zu lesen, ihre Werke seien verschollen“, ergänzt Christin Heitmann.

Nebenbei: daß Werke von Frauen „verschollen“ seien, ist Tenor in der Musikgeschichtsschreibung des späten neunzehnten und auch noch zwanzigsten Jahrhunderts. Bislang sind die Werke von Louise Farrenc mit Ausnahme ihres fast schon berühmten Klavierquin-tettes zumindest in Deutschland fast unbekannt. Das dürfte sich jetzt ändern. Man darf gespannt sein, wie der Konzertbetrieb auf diese Edition reagiert.

Wenige Informationen gibt es über ihr stringentes berufliches Leben als Professorin für Klavier, die sie dreißig Jahre lang am Pariser Conservatoire war. Im Verhältnis zu Clara Wieck-Schumann, die ihre pianistischen und kompositorischen Bedürfnisse immer hinter die Forderungen ihres Mannes und ihrer acht Kinder stellte, im Vergleich auch zu Fanny Mendelssohn-Hensel, die irgendwann mal zugab, an Weiblichkeit zu verlieren, wenn sie auf dem geliebten Komponieren bestehe, war Louise Farrenc viel eindeutiger Komponistin und hatte unzweifelhaft die besseren Lebensbedingungen.

Sie war mit dem sie vorurteilsfrei unterstützenden Pariser Verleger Aristide Farrenc verheiratet, hatte – wie auch Hector Berlioz – Kompositionsunterricht bei Anton Reicha und Klavierunterricht bei Johann Nepomuk Hummel. Sowohl als Pianistin als auch als Komponistin entzog sie sich stets Modeerscheinungen: In einem die Virtuosität feiernden Konzertbetrieb machte sie unübliche Programme mit Werken der Wiener Klassik und der Cembalomusik des 18. Jahrhunderts.

Mit ihrem Mann zusammen – und nach seinem Tod alleine – gab sie den „Trésor des Pianistes“ heraus, eine erste und heute noch gültige Anthologie älterer Tasteninstrumentmusik. Außerdem veröffentlichte sie eine Arbeit über die Verzierungspraxis der Clavecinisten. In zeitgenössischen Kritiken heißt es, sie übertreffe „das Talent aller komponierenden Frauen“, sie zeichne sich aus durch „noch nie dagewesene Taten“ und sie verkörpere „die größte sinfonische Begabung unter den Frauen“. Und 1857 schrieb „La France Musicale“: „Diejenigen in Frankreich, die sie kennen und ihre Kompositionen studiert haben, ehren und bewundern sie; aber die Menge hat niemals ihrem Namen applaudiert – und zwar weil sie eine Frau ist. Deshalb ist sie auch zu schwach, sich ihren Weg zu bahnen, sie hat nur Widerstände und bornierten Neid erfahren“.

Das gilt es zu beenden, heute abend mit ihrer ersten Sinfonie, die sich zur Auseinandersetzung mit der deutschen Klassik bekennt.

Ute Schalz-Laurenze