Blair schließt Skandal-WAA: „Ökonomisch nicht sinnvoll“

■ Die schottische Wiederaufarbeitungsanlage Dounreay wird nach einer über 30jährigen Geschichte des Vertuschens und Versagens stillgelegt. Die letzten Verträge laufen 2006 aus. Zu den Kunden gehören Forschungsreaktoren in Jülich und Berlin

Dublin (taz) – Die skandalträchtige Wiederaufarbeitungsanlage Dounreay im Norden Schottlands wird geschlossen. Das gab die britische Regierung gestern bekannt. Es dauert freilich noch etwas, bis in Dounreay – neben dem britischen Sellafield und dem französischen La Hague die dritte europäische WAA – das Licht ausgeht. „Dies ist keine Seifenfabrik“, sagte Lorraine Mann von der schottischen Anti- Atom-Kampagne. „Man kann nicht einfach eines Tages die Tore schließen und am nächsten Tag nach Hause gehen.“

Die Stillegung werde bis zu 60 Jahre dauern, schätzt der Chef der Schottischen Nationalen Partei, Alex Salmond, der die Entscheidung begrüßte. Noch vorige Woche hatte Premierminister Tony Blair die WAA verteidigt und Dounreay als einen „der sichersten Orte Großbritanniens“ bezeichnet. Die Umweltschutzorganisation „Friends of the Earth“ sieht ihre Meinung nun bestätigt, wonach „Dounreay von Anfang an eine ökologische und ökonomische Torheit“ gewesen ist.

Das Energieministerium rechnet damit, daß noch bis zum Jahr 2006 in Dounreay wiederaufgearbeitet wird, um bestehende Verträge zu erfüllen. Die Atomforschungszentren in Karlsruhe und Jülich, die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig und das Berliner Hahn-Meitner-Institut gehören zur Kundschaft. Außerdem lagern hier der plutoniumhaltige Reaktorkern für den schnellen Brüter in Kalkar sowie 348.000 Brennelementekugeln, die im Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop eingesetzt werden sollten. Die Aufträge aus Deutschland sorgten dafür, daß die Wiederaufarbeitungsanlage, der die Subventionen 1994 gestrichen worden waren, weiterbetrieben werden konnte. Es war nur eine Galgenfrist: Die Atomenergiebehörde hält die Wiederaufarbeitung inzwischen „langfristig für ökonomisch nicht sinnvoll“. Ein Sprecher des Industrieministeriums fügte hastig hinzu, daß die Anlage in Dounreay jedoch nach wie vor sicher sei.

Wie sicher sie ist, weiß man. In ihrer gut vierzigjährigen Geschichte wimmelt es nur so von haarsträubenden Zwischenfällen und Vertuschungsaktionen. So wurde anfangs zum Beispiel radioaktiver Abfall in Pappkartons in einen Schacht geworfen. 25 Jahre lang hielt man das geheim, bis der Schacht 1977 explodierte. Das radioaktive Material wurde auf die Strände geschleudert, die Leukämierate bei Kindern in der Umgebung stieg steil an, das Fischereiministerium mußte ein Fangverbot in einem Radius von zwei Kilometern um die WAA erlassen. Mitte Mai gab es einen Kabelbruch in der Notstromversorgung, der Betrieb wurde vorübergehend eingestellt. Den bisher letzten Skandal gab es am vorigen Dienstag: Da wurde in einem internen Bericht erwähnt, daß Ende der sechziger Jahre 170 Kilogramm waffenfähigen Urans verschwunden seien – genug für zehn Hiroshima-Bomben. Der Leiter der Atomenergiebehörde tat die Sache vorgestern als „Rechenfehler“ ab. Ralf Sotscheck

Zur deutschen Atomwirtschaft Seite 8