Operationen wegen Blutmangels verschoben

■ Nach dem ICE-Unglück spenden mehr als 1.500 Berliner Blut

„So voll war es hier noch nie“, sagt Hans Dieter Wilhelm. Der Rentner drängt sich mit 25 anderen im kleinen Warteraum der DRK-Blutsammelstelle in Tiergarten. Einige warten seit mehreren Stunden. Schülerin Rebekka Reuber, 19, spendet zum ersten Mal. „Wegen des ICE, und weil mein Freund in Düsseldorf das auch macht“, sagt sie. Allein in den vergangenen zwei Tagen spendeten mehr als 1.500 Berliner. An den sechs Sammelstellen des Roten Kreuzes bildeten sich lange Schlangen, Hunderte von Spendewilligen bekamen erst einen Termin für die nächste Woche.

Die meisten waren den Aufrufen in Rundfunk und Fernsehen gefolgt, denn nach dem schweren Zugunglück in Niedersachsen war es in Berlin zu einem bedrohlichen Engpaß an Blutkonserven gekommen. Der Grund: Niedersachsen ist der größte Zulieferer für Blutkonserven in die Hauptstadt, konnte wegen der vielen Verletzten aber nichts mehr schicken.

Nachdem Info-Telefonnummern für Berlin ausgestrahlt wurden, standen die Telefone dort nicht mehr still. „Wir nehmen gar nicht mehr ab“, sagt Karin Quiel vom Roten Kreuz Tiergarten. „Sonst kommen wir nicht mehr dazu, Blut abzuzapfen.“ Auch bei den Auskunftsstellen der Telekom fragten Tausende nach den Nummern. Wegen der großen Spendebereitschaft blieb die Sammelstelle in Lichtenberg am Mittwoch bis 23 Uhr geöffnet. Die 150 Mitarbeiter der Roten Kreuzes legten Sonderschichten ein. „Wir sind überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Berliner“, sagt Elke Grossrau vom Roten Kreuz. „Seit dem Anschlag auf die Disco La Belle mit 200 Verletzten haben nicht mehr so viele Menschen gespendet.“ In einigen Bezirken riefen auch die Bürgermeister zur Blutspende auf.

Wegen des akuten Blutmangels haben einige Krankenhäuser nicht dringende Operationen verschoben. Dies betraf vor allem die kleineren der 90 Berliner Krankenhäuser, denn die großen wie die Charité versorgen sich weitgehend selbst. Doch nachdem am Mittwoch bereits 700 Berliner gespendet hatten, entspannte sich die Lage gestern wieder.

Die Berliner Krankenhäuser brauchen bis zu 800 Blutkonserven täglich. Pro Tag spenden normalerweise etwa 400 Berliner, der Rest kommt hauptsächlich aus Niedersachsen. Wegen der Pfingstfeiertage waren die Berliner Vorratslager aber bereits leer, als Niedersachsen am Mittwoch um 12 Uhr, eine Stunde nach dem Unglück, die Lieferungen einstellen mußte. Um solche Engpässe in Zukunft zu vermeiden, hofft das Rote Kreuz nun, daß viele derer, die jetzt spontan gespendet haben, regelmäßig wiederkommen. Christian Haase