Hundertfünfzigtausend Idioten beim Test

■ Die Deutschen fahren gern unter Alkoholeinfluß mit dem Auto – und müssen sich dann einer gefürchteten Untersuchung stellen. Der TÜV mit einer erschütternden Idiotentest-Bilanz 1997

Berlin (taz) – Dumm gelaufen für Hanno Harnisch. Im Herbst 1993 mit 1,4 Promille intus am Trabisteuer erwischt. Führerschein abgenommen. Zum Idiotentest angetreten und durchgefallen. Im zweiten Anlauf geschafft. Die Führerscheinprüfung noch mal absolviert. Nach dreieinhalb Jahren wieder die Fahrerlaubnis bekommen. Wenn er das gewußt hätte, der PDS-Pressesprecher, dann hätte er den roten Trabi des Ballettdirektors Johann Kresnik damals nicht geklaut – und schon gar nicht in dem Zustand.

„Ich habe gelernt“, sagt Hanno Harnisch heute, „gelernt aus der Erniedrigung, die mir in den vergangenen dreieinhalb Jahren widerfahren ist.“ Mit Erniedrigung meint Hanno Harnisch die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) wegen Trunkenheit am Steuer, im Volksmund ganz einfach Idiotentest genannt. Allein im vergangenen Jahr teilten 153.000 Deutsche das leidige Schicksal des PDS-Pressesprechers und traten zum Idiotentest an. Und damit nicht genug: Fast jeder zweite fiel durch, erwies sich des Fahrens eines Kraftfahrzeuges also als ungeeignet. Diese Zahlen für 1997 verkündete der TÜV-Psychologe Hans Utzelmann gestern in Bonn. Warum so viele, muß man sich da doch fragen.

Hanno Harnisch weiß die Antwort: „Ich war zu ehrlich, das war mein Fehler.“ Gerade mal 20 Minuten habe er sich bei der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung mit der Psychologin unterhalten („die hat mich überhaupt nicht gemocht“) – ein „völlig willkürliches Gespräch“ über seine Alkoholgeschichte vor und nach der Trunkenheitsfahrt. Darauf folgte eine ärztliche Untersuchung von 10 Minuten, die Psychologin erstellte ein Gutachten, und zwei Wochen später hatte er es schriftlich: durchgefallen. „Und dafür habe ich noch 1.000 Mark gezahlt“, ärgert sich Harnisch.

Nach einem Jahr vollständiger Abstinenz dann der zweite Anlauf. Diesmal investierte er 150 Mark in ein Beratungsgespräch, gab sich im Test gegenüber der Psychologin („diesmal war's eine andere“) als neuer Mensch – und bestand.

Nun muß man wissen, daß Hanno Harnisch mit seinen 1,4 Promille eine Ausnahme war. Bei Fahrten unter Alkoholeinfluß werde ein Gutachten meist erst ab 1,6 Promille Blutalkoholgehalt angefordert, meinte gestern der TÜV-Psychologe Hans Utzelmann. Immerhin seien 1997 1,4 Prozent weniger Verkehrssünder in Sachen Alkohol fällig für die sogenannte MPU gewesen als im Vorjahr. Die Zahl der erstauffälligen Alkoholsünder sei gar um sieben Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Autofahrer, die wiederholt einen Schluck zu viel riskiert hatten, um 2,5 Prozent auf 28.426 angestiegen sei. Dagegen hätten die Untersuchungen von Fahrern, die unter Drogen- und Medikamenteneinfluß gestanden hätten, um 20 Prozent auf 5.839 zugenommen.

Hanno Harnisch gönnt sich inzwischen keinen Schluck mehr am Steuer. Telefonieren ist aber erlaubt: Man sollte den Idiotentest qualifizieren, dann sei das eine vernünftige Sache, meint er – vom Autotelefon aus. Und wie läuft's sonst so mit dem Autofahren? „Ich fahr' seither völlig anders“, sagt er, „ganz zurückhaltend und sanft.“ Heike Spannagel