„Tiefverwurzelte Kultur des Mißtrauens“

■ Der Schriftsteller und Publizist Goenawan Mohamad über die Aufgaben der Opposition nach dem Rücktritt Suhartos

taz: Ex-Präsident Suharto ist nach 32jähriger Herrschaft zurückgetreten. Hat nun eine neue, demokratische Ära begonnen?

Goenawan Mohamad: Ja. Aber es besteht immer noch die Gefahr eines Rückschlags. Wir haben noch keine demokratischen Institutionen. Die Euphorie der Freiheit, die Sehnsucht nach freier Meinungsäußerung und der Wunsch, möglichst viele freie politische Gruppen zu bilden, können die Demokratiebewegung sogar schwächen. Das ist ganz normal in einer Phase des Übergangs von der Unterdrückung zur Freiheit, das konnte man auch nach dem Fall des Kommunismus in Europa beobachten.

Glauben Sie, daß die Regierung Habibie ernsthaft an demokratischen Reformen interessiert ist?

Die Regierung ist in einer schwachen Position. Sie muß drei Monster bekämpfen. Das erste, gewaltigste Monster ist die Wirtschaftskrise. Das zweite ist die unklare Haltung des Militärs: Wird es Habibie ganz oder unter Vorbehalt oder gar nicht unterstützen? Und das dritte ist das Volk, das sich in den letzten Wochen erhoben und den Geschmack des Sieges gekostet hat. Mit all dem muß Habibie nun gleichzeitig fertig werden, und deshalb gesteht er der Opposition politischen Wandel zu.

Wie reagiert die indonesische Opposition auf die neue Freiheit?

Das Problem ist, daß die Opposition aus Leuten besteht, denen es so lange verwehrt wurde, sich zu organisieren. Sie waren nie am politischen Prozeß beteiligt. Kompromisse zu schließen galt als korrupt. Wer bereit war, seine politischen Ansichten zur Diskussion zu stellen und andere Meinungen anzuerkennen, wurde als schwach abgestempelt. Der Mangel an politischer Transparenz hat eine tiefverwurzelte Kultur des Mißtrauens geschaffen. Das ist die Erbschaft des alten Regimes.

Wer sind heute die wichtigsten Reformkräfte?

Das ist noch nicht klar. Die Opposition besteht überwiegend aus einzelnen Persönlichkeiten, die zum Teil eine beachtliche Anhängerschaft haben. Es wird noch eine Weile brauchen, bis sich der Staub gelegt hat und klar wird, welche Tendenzen sich herausbilden werden. Aber ich glaube, es gibt einen Konsens über mehrere wichtige Dinge: Erstens sollte künftig die Amtszeit des Präsidenten begrenzt werden. Zweitens sollte die Legislative mehr Rechte haben, besonders in den Provinzen. Die Macht muß dezentralisiert werden. Drittens brauchen wir mehr Meinungs- und Pressefreiheit.

Was muß konkret geschehen?

Wir müssen erkennen, daß es dringend nötig ist, wirkliche Macht zu gewinnen – nicht nur moralische Überlegenheit. Die Oppositionellen müssen zusammenarbeiten, um ihre Basis zu verstärken. Sie müssen eine gemeinsame politische Plattform entwickeln. Und schließlich müssen sie sich auf ihre Führung einigen, auf einen oder zwei Führer.

Welche Rolle spielt der Islam?

In den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist die Bedeutung der islamischen Bewegungen gewachsen. Das wird sich auch in den neuen politischen Gruppierungen niederschlagen. Damit werden wir umgehen müssen. Wenn wir die Chance verpassen, eine liberale islamische Bewegung zu gründen und liberale islamische Ideen zu entwickeln, dann werden wir in eine schwierige Lage geraten. Mit „liberalen islamischen Ideen“ meine ich Vorstellungen, die auch von Amien Rais, Nurcholish Majid und Abdurrahman Wahid geteilt werden...

... bekannte Religionsgelehrte und Führer der beiden großen muslimischen Religionsgemeinschaften in Indonesien...

... wir haben das große Glück, daß wir diese Persönlichkeiten haben. Deshalb haben wir die Chance zu beweisen, daß liberale islamische Ideen möglich sind – auch in einer Situation, in der viele Muslime sehr arm sind.