Im Schatten junger Männerblüte

Die amerikanische Künstlerin Elizabeth Peyton arbeitet an einer Neuauflage des Genres der Porträtmalerei. Dabei kommen ihr Slackertum und die Androgynität der Popstarmodelle sehr entgegen. Eine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst, Basel  ■ Von Martin Pesch

Irgendwann konnte man sie nicht mehr sehen, die Porträts blasser junger Männer, allesamt Stars der Popmusik, mit ihren schmalen Gesichtern, eingefallenen Wangen und traurigen Augen. Und insbesondere nicht ihre roten Münder, von denen Jon Savage schrieb, sie sähen aus, als seien sie sehr lange geküßt worden.

Elizabeth Peyton, die in New York lebende Künstlerin, hat sich ohne große Umschweife das Mittel gewählt, mit dem man im Kunstland derzeit am besten vorankommt: Sie reist auf dem Popticket. Das ermöglicht ihr, die Grenzen historischer Zeitabschnitte und Genres locker zu überschreiten. Johnny Rotten sieht auf ihren Bildern genauso aus wie Jarvis Cocker von Pulp, die Gallagher- Brüder und Kurt Cobain. In diesem Gesamtblick, in dem manches verschwimmt und dessen unvermeidliches Generalisieren dem Musikspezialisten einiges an Stirnrunzeln macht, werden bestimmte Eigenheiten der Mimik und Physiognomie betont.

Es ist der Blick des Fans, der Blick, den Talent-Scouts haben möchten, wenn es gilt, die neue Boygroup zu erfinden. Idealisierung ist dabei angesagt. Das Arschlochtum von Liam Gallagher gerinnt in Peytons Gemälde zum melancholischen Ausdruck, und Cobain erscheint als androgynes Jüngelchen. Peyton ermalt sich ihre Galerie der persönlichen Helden, persönlicher als die Bravo-Posterwand im Teenagerzimmer, weil sie genau zugreift auf die Features, die sie interessieren, und nicht ein schon fabriziertes Produkt übernimmt.

Nun geht Peyton allerdings schon von fabrizierten Produkten aus. Sie ist Mitte Dreißig und hat damit das Bombardement wechselnder Styles, das Einstürzen von Images und Aufbrechen von Trends durchlebt. Sie arbeitet am Surrogat. Von Fotos aus Musikmagazinen, von Stills von TV-Sendungen, von Paparazzi-Shots der Yellow press nimmt sie, was dort aufgebaut, verherrlicht und niedergemacht wird. Am Ende bleibt in der allgemeinen Erinnerung das zurück, was man als Ikone bezeichnet. Nicht umsonst malt Peyton ihre Bilder kleinformatig und mit stark verdünnter Ölfarbe. Ihre Gemälde sind Reliquien. Ihren Glanz könnte man leicht mit dem Glamour der meisten in ihnen abgebildeten Personen kurzschließen. In diesem Sinn ist der Glanz aber nicht gemeint. Peytons Gemälde scheinen selbst.

Wenn im Basler Museum für Gegenwartskunst, wo Peytons erste große Ausstellung in Europa gezeigt wird, die Gemälde großzügig gehängt sind, liegt dem Arrangement der richtige Gedanke zugrunde. Was zuerst wie ein Fehler aussieht – eine großflächige Wand und vereinzelt daran ein DIN-A4 großes Bild –, erschließt sich allmählich als kluge Entscheidung. Die Hängung hilft den Bildern Peytons, ihrer leichten Erschließbarkeit zu entkommen. Denn der Kick (Pop!), den sie bewirken, war in den letzten Jahren der Grund ihres Erfolges und führte zum angedeuteten Unbehagen.

Obwohl Peyton US-Amerikaerin ist und sie mit Cobain, Evan Dando (Lemonheads) und Steve Malkmus (Pavement) auch US- Musiker gemalt hat, tauchten ihre Bilder gerade auf, als Britpop und Neue Britische Kunst bereits zu nerven begannen. Clevere Galeristen taten verständlicherweise nichts dagegen, daß Peytons Kunst fast ausschließlich in diesem Umfeld wahrgenommen und extensiv gezeigt und abgebildet wurde. Gerüchte sagen, daß Zelebritäten beiderseits des Atlantiks reihenweise bei ihr anklopfen, um sich porträtieren zu lassen. Dabei verkennen sie jedoch, daß die Frau viel lieber die Interviews mit ihnen im New Musical Express oder in Hello liest, als sie persönlich kennenzulernen. Als fast schon sarkastische Antwort auf diese Rubrizierung läßt Peyton ihre Basler Ausstellung mit einem nachlässig gemalten Porträt Leonardo DiCaprios beginnen, ihrer Version des berühmten Schwan-Fotos von Annie Leibovitz.

Der Erfolg Peytons ist auch durch eine kontinuierliche Subströmung erklärbar, die, abgesehen von einfach herstellbaren Verbindungen zu „New Britannica“, mit typisch englischen Motiven zusammenhängt. Durch die moderne Kulturgeschichte der Insel zieht sich die Faszination für die Androgynität. Im Schatten einer Gesellschaft, in der Männlichkeit forcierende Modelle wie „working class“ oder seit einigen Jahren der „laddism“ eine besondere Rolle spielen, gedeiht eine Sehnsucht nach dem geschlechtlich uneindeutigen Vorbild.

Die englische Popkultur bietet ein ganzes Arsenal von schimmernden Figuren, die hinter einem bewunderten asexuellen Image der Phantasie alle Möglichkeiten bietet. Wie kein Popstar zuvor hatte David Bowie Anfang der siebziger Jahre Fans in gleicher Anzahl unter Jungs und Mädchen (in den Sechzigern waren diese noch auf die Stones beziehungsweise Beatles verteilt). Und Trends wie Glam Rock oder New Romanticism (Männer tragen Plateaustiefel und schminken sich!) stehen in einer typisch englischen Tradition, die sich über Individualisten wie Morrissey bis zum derzeitigen Erfolg von Bands wie Pulp zieht.

Sex wird in dieser Geschichte nur verschlüsselt behandelt, wichtiger ist die Suggestion, es ginge ohne ihn. Das ist der Punkt, an dem sich von Pop gleichermaßen wachgehaltene und gestillte Sehnsucht nach dem Androgynen mit der Monarchieakzeptanz der Engländer deckt. Das Königshaus, allen Eskapaden zum Trotz, ist Hort der Unschuld, in dem Sex als Problem durch Hierarchien und Erbfolge geregelt ist. Die Begeisterung für Diana machte den Wunsch, daß dies so bleiben soll, überdeutlich. Pop und Politik – an der Grenze zum sexuell explizit Ausgesprochenen und Gezeigten bilden sie eine ziemlich humorlose und dennoch typisch englische Gemengelage.

Mit zwei neuen, in Basel gezeigten Serien setzt Elizabeth Peyton darin ihre eigenen Akzente. Einige, für ihre Verhältnisse großformatige Gemälde kreisen um das Motiv Diana und zeigen insbesondere Prinz Harry. Man sieht ihn, wie er in der Berichterstattung des Begräbnisses durch die Hirnwindungen von Milliarden Zuschauern gedrückt wurde. Ein präpubertäres Gesicht, früh desillusioniert, todtraurig und doch umgeben von Tausenden von Blumen und mitleidsbesessenen Schaulustigen. Peyton zeigt ihn als Träger des mit der skizzierten Tradition verbundenen Begehrens.

Die andere Serie ist David Hockney gewidmet. Der Porträtfilm „A Bigger Splash“ von Jack Hazan aus dem Jahr 1974 brachte Peyton auf den kalifornischen Künstler, der 1964 von England nach Los Angeles übersiedelte. Ihre Zeichnungen und Gemälde sind diesem Film oder anderen biographischen Quellen entnommen. Sie zeigen den Künstler am Strand, auf einer Bank sitzend, den Skizzenblock auf den Knien, oder im Freien beim Schachspiel. Abgesehen davon, daß Hockney vor dreißig Jahren so aussah wie Jarvis Cocker heute und somit in Peytons Ahnenreihe androgyner Selbstdarsteller paßt, reißt sie mit dieser Serie zudem ein Idealbild künstlerischer Boheme auf.

Die Hockney-Bilder sind erstaunlich idyllisch, optimistisch, hell. Sie stehen im starken Gegensatz zu den Gemälden, auf denen Personen aus Peytons persönlichem Umfeld zu sehen sind, etwa ihr Galerist Gavin Brown oder ihr New Yorker Künstlerfreund Craig Wadlin. Diese Bilder, die einzigen nach echten Modellen gemalten, spielen in dunklen Innenräumen, in Bars und Hotelzimmern. Das hier gezeigte Slackertum genießt zwar das Wohlwollen des Marktes, aber es hat jeden Funken Euphorie verloren. Das ist die Wirklichkeit. Verständlich, daß Peyton sich aus dem Kitsch-und-Glamour-Archiv ihre eigene Realität zusammenbaut. Was sie dort sieht, zeigt sie als das, was es ist: überall Symbole.

Deshalb ist es auch kein Zufall, daß der Pet-Shop-Boys-Sänger Neil Tennant zu den Sammlern Peytons gehört (und der Katalog zur Ausstellung im Studio von Mark Farrow, dem für das exquisite Packaging der Pet Shop Boys verantwortlichen Grafik-Designer, gestaltet wurde). Durch solche Connections wird das Scheinhafte von Peytons Bildern im Regelkreis bestimmter Szenen dann doch heruntertransformiert auf die dort gerade verträgliche Spannung.

Museum für Gegenwartskunst, Basel. Bis 9.8. im Kunstmuseum, danach 12.9. bis 6.12. im Kunstmuseum Wolfsburg