Zwischen Liebe und Anarchie

Pünktlich zum 100. Geburtstag von Federico Garcia Lorca gibt es Streit um das Übersetzungs- monopol von Enrique Beck. Der Suhrkamp Verlag geht vor Gericht  ■ Von Christoph Klimke

Es ist ein Skandal: Seit Jahrzehnten wird im deutschsprachigen Raum ein völlig falsches Lorca-Bild inszeniert. Zum 100. Geburtstag des spanischen Dichters geht sein deutscher Verlag (Suhrkamp/Insel) an die Öffentlichkeit und gibt zu, was bisher nur Lorca-Kenner wissen: Alle Übersetzungen seiner Stücke, wie „Bluthochzeit“, „Yerma“ und „Bernarda Albas Haus“, seine Gedichtbände wie „Zigeunerromanzen“ und „Dichter in New York“ sind der folkloristische Kitsch des autorisierten Übersetzers Heinrich Beck, der sich bis zu seinem Tod 1974 Enrique nannte. Die Beck-Stiftung betreibt seitdem eine rigide Politik: Kein anderer darf Lorca übersetzen. Das ist bis ins Jahr 2006 festgelegt, dann werden die Rechte frei. Verwunderlich, daß Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld jetzt vor Gericht zieht und neue Übersetzungen in Auftrag gibt, hat er doch bisher an den Aufführungen der Stücke Lorcas, als sei seiner Kasse die Übersetzungsqualität egal, gut verdient.

Federico Garcia Lorca, am 5. Juni 1898 bei Granada geboren und 1936 von den spanischen Faschisten ermordet, gilt in der spanischsprechenden Welt als der Autor der Moderne, da er Tradition und Avantgarde zu verbinden wußte. Lorca, Freund von Dali und Buñuel, komponierte, zeichnete, rezitierte und sang. Er zog mit seinem Volkstheater La Baracca durch die Dörfer Spaniens und begeisterte neben den Intellektuellen auch Menschen, die zum ersten Mal ins Theater gingen. Es waren die Opfer der Gesellschaft, die den Sohn eines Großgrundbesitzers interessierten: die Frauen, Tagelöhner, Zigeuner, Homosexuellen, Juden und seit seinem langen Aufenthalt in New York auch die Schwarzen und ihre Kultur. Das konnte dem rückwärtsgewandten Spanien und seinen faschistischen Machthabern nicht gefallen. Doch Lorca glaubte bis zuletzt, sein Ruhm und seine prominenten Freunde würden ihn schützen. In einer Mischung aus Naivität und Angst behielt er seine Zuversicht. Am 19. August 1936 wurde er auf Befehl von oben wie Tausende andere in diesen Jahren hingerichtet.

Lorcas Ermordung bleibt für Spanien ein Trauma, und erst nach Francos Tod wurde sein Gesamtwerk frei zugänglich. Von ersten Texten über Andalusien über zahlreiche Gedichtbände und Stücke bis hin zu seinen mutigen, viel zu selten inszenierten Dramen wie „Das Publikum“ löste sich Lorca mehr und mehr von der musikalisch-literarischen Tradition seines Landes und entwickelte neue Figuren und Metaphern.

Hinter Lorcas Masken lauern Gewalt, Sexualität und die Sehnsucht nach einem freieren Leben. „Nur das Geheimnis läßt uns leben“, klingt nicht nur wie das private Vermächtnis des Homosexuellen. Der Satz enthält auch poetologische Programmatik. Lorcas Figuren leben zwischen spanischen Wänden, eingesperrt und sichtbar vereinsamt. Er gab ihnen eine phantastische Sprache und somit eine andere Welt. Sie kämpfen wie er, mit den Waffen der Phantasie: zwischen Liebe und Anarchie.

„Ich gehe auf eine lange Reise ... ich will kalt, aber scharfen Sinnes den Garten der nicht aufgegangenen Samenkörner betreten auf der Suche nach der Liebe, die ich nicht bekam, die aber mein war.“ Und: „Jetzt habe ich eine Dichtung zum Adern öffnen“, schreibt Lorca über seine letzten Gedichte über Liebe und Tod. Sein falangistischer Denunziant soll über ihn gesagt haben: „Er hat mit seiner Feder mehr Unheil angerichtet als andere mit der Pistole.“ Lorcas Figuren brechen aus und sterben. Oder werden getötet. Lorcas Masken bleiben als ein Plädoyer für mehr Phantasie, für ein riskanteres Leben. Sie gilt es neu zu entdecken – und neu zu übersetzen.

Von Christoph Klimke ist soeben erschienen: „Federico García Lorca oder Honig ist süßer als Blut“. Oberbaum Verlag, Berlin