Querelen, Debatten

Das Schwarzbuch des Kommunismus erschien Ende 1997 in Frankreich. Es handelt sich um Studien sehr unterschiedlicher Quantität und Qualität zu den Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden. Im Zentrum steht der herausragende Beitrag von Nicolas Werth über die Sowjetunion: „Ein Staat gegen sein Volk“. Abgehandelt wird in dem 864 Seiten umfassenden Werk ausschließlich die Unterdrückungspraxis realsozialistischer Regime bzw. der sowjetisch dominierten Kommunistischen Internationale. Der Historiker Stéphane Courtois hat das Vor- und Nachwort verfaßt.

Sofort nach Erscheinen des Sammelbandes entzündete sich am Vorwort eine heftige Polemik, die auch Konzeption und Aufbau des gesamten Werkes einschloß. Courtois wurde vorgeworfen, statt einer Analyse ein moralisierendes Pamphlet vorgelegt zu haben, das Vergleiche mit den Verbrechen des Kapitalismus/Imperialismus geradezu herausfordere.

Die Debatte über das „Schwarzbuch“ spielte sich vor allem in der Zeitung Le Monde vom November letzten bis Januar diesen Jahres ab. Hier ist auch – in zahlreichen Beiträgen – der innenpolitische Wellenschlag nachvollziehbar, insbesondere die Angriffe auf die Linksunion und die Verteidigungslinie von Premier Lionel Jospin. Die Kommunistische Partei Frankreichs hat im Internet eine eigene Homepage zur Diskussion des „Schwarzbuchs“ eingerichtet. In der Monatszeitschrift Le Monde diplomatique wurde der Problematik ein Schwerpunktheft gewidmet, dessen deutsche Übersetzung im Dezember vergangenen Jahres erschien, gefolgt von einem „Nachklapp“ im Januar 1998. In der gleichen Zeitschrift findet sich auch der wichtige Aufsatz von Gilles Perrault, der die französische Version der Immunisierungsstrategie darstellt.

Am 27. Mai erschien die deutsche Übersetzung des „Schwarzbuchs“ beim Piper-Verlag (68 Mark), zu der Joachim Gauck und Erhart Neubert einen Beitrag zur Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR beigesteuert haben. Die Diskussion in Frankreich und die deutsche „Rezeption vor der Rezeption“, die Gegenstand dieses Aufsatzes ist, wurde im Internet in einem erhellenden Reader zusammengestellt: Er trägt den Titel Le Historikerstreit.

Einen interessanten Einblick in die Verdrängungsmechanismen, denen Alexander Solschenizyns Archipel Gulag in den siebziger Jahren zum Opfer fiel, bietet das 1975 von Rudi Dutschke und Manfred Wilke herausgegebene Buch „Die Sowjetunion, Solschenizyn und die westliche Linke“. Er ist nur noch in Bibliotheken oder antiquarisch erhältlich.

Das „Schwarzbuch“ steht in der öffentlichen Diskussion. Auf diversen Veranstaltungen wird es diskutiert. In Hamburg am 15. Juni (19.15 Uhr, Theater in der Kunsthalle), am 16. Juni in Berlin (19.30 Uhr, Urania), am 17. Juni in München (20 Uhr, Literaturhaus), 18. Juni in Dresden (18 Uhr, Hannah-Arendt-Institut). CS