"Ich komme in zwei Stunden"

■ 25 Berliner testen freiwillig und unter ärztlicher Aufsicht die Potenzpille Viagra. Hunderte von Anfragen nach dem Mittel bei Apotheken und Urologen. Umsatz bleibt trotzdem hinter den Erwartungen zurück

„Es ist das erste Mal, daß meine Patienten gerne Versuchskaninchen spielen“, sagt Urologe Uwe Behrendt. Er hat seinen Patienten angeboten, das neue Potenzmittel Viagra zu testen. 25 haben sich für den vierwöchigen Versuch gemeldet. Sie sind Prostataoperierte, Rentner, Ärzte, ein Ehepaar aus Rosenheim und ein 25jähriger Student. „Der wollte nur einen Kick“, erzählt Behrendt. „Aber das ist in Ordnung, solange nicht die AOK zahlen muß.“ Bevor Behrendt die begehrten kleinen, rautenförmigen Pillchen verteilt, wird jeder genau durchgecheckt. Denn wer Herzprobleme hat oder nitrathaltige Medikamente nimmt, darf Viagra nicht einnehmen. Das mußten alle schriftlich zusichern. „Ich komme ja ansonsten in Teufels Küche“, sagt Behrendt.

Eine Pille, das ist die erste Dosis, die Behrendt verteilt. Wenn alles glatt läuft, gibt es beim nächsten Mal zwei oder mehr Pillen. Zahlen müssen alle aus eigener Tasche. Denn solange das Medikament in Deutschland noch nicht zugelassen ist, steuern die Kassen nichts bei. Zehn der Probanden haben bei Behrendt schon Rapport erstattet. „Die meisten waren voll zufrieden“, erzählt der Urologe. Nur bei einem richtig Schwerkranken sei die Wirkung ausgeblieben.

Das begehrte Mittel können die Patienten gleich neben Behrendts Praxis in der Apotheke am Wittenbergplatz bestellen, die auf internationale Arzneimittel spezialisiert ist. Die kleinste Packung mit 30 Pillen kostet 800 Mark. Lieferzeit aus den USA: 2 Tage. „Ein Rentner hat sich schon die zweite Packung geordert“, erzählt Apothekerin Brigitte Buchin. „Dabei war er erst vor einer Woche da.“ Die meisten Männer zahlen ihre Pillen in bar. „Die wollen nicht, daß die Ehefrau die Rechnung auf dem gemeinsamen Konto entdeckt“, vermutet Buchin. Die ersten Kunden am Wittenbergplatz waren Ärzte. Die Vermutung: „Die verteilen die Dinger wahrscheinlich im Freundeskreis.“

Seit der Markteinführung von Viagra klingelt in der Apotheke ständig das Telefon. Mehrere hundertmal hat Buchin schon Fragen nach Preis und Lieferzeit von Viagra beantwortet. Trotzdem ist sie mit dem Umsatz nicht zufrieden. Nur ein gutes Dutzend Viagra- Packungen konnte sie bisher verkaufen. Auch bei Apotheken in Spandau, Hellersdorf und Zehlendorf sieht es nicht besser aus. Kaum eine Apotheke hat bisher mehr als zwei Schachteln über den Ladentisch gereicht. Auch der Großhandel ist enttäuscht. Bei der Internationalen Apotheke in Stuttgart, die viele Berliner Apotheken beliefert, heißt es kurz: „Die Nachfrage ist begrenzt.“ „Vielen ist das noch zu unsicher“, vermutet eine Apothekerin. „Man liest doch jetzt immer, daß es einige der alten Männer zu wild treiben und dann eingehen wie die Primeln. So etwas schreckt doch ab.“

Mit seiner kleinen Studie hofft Urologe Behrendt bis zur Markteinführung in Deutschland im Herbst genügend Erfahrungen zu sammeln, um Viagra sicher zu verordnen. Allerdings hat er auch schon die ersten Beschwerden erhalten. Und zwar von einer Ehefrau, die das „wüste Vorgehen“ ihres Mannes beklagte. Nachdem der eine von Behrendts Testpillen eingeworfen hatte, hatte er gleich bei seiner Frau angerufen und gesagt: „Ich komme in zwei Stunden. Mach dich bereit.“ Christian Haase