Gymnasiale Oberstufe hieß: Nie wieder Physik!

■ Lernen, ein bißchen frei zu sein, oder die ewige Jagd nach Punkten mit der Abiturprüfung im Nacken: Erfahrungen mit dem Kurssystem am Kreisgymnasium Titisee Neustadt im Schwarzwald

Jetzt wird alles anders, hieß es damals, vor sechs Jahren, als der Sprung in die Oberstufe bevorstand und wir den Endspurt zum Abi antraten. Mit 27 Leuten waren wir am Kreisgymnasium Titisee Neustadt im Schwarzwald der kleinste Jahrgang aller Zeiten. Daß die elfte Klasse in Baden- Württemberg mit Abstand die stressigste ist, hatten wir zu spüren bekommen. Genaugenommen war das einzige, was uns in der elften Klasse über Wasser hielt, die Aussicht auf die Oberstufe, die Kurswahl gegen Schuljahresende der erste Schritt in die Freiheit.

Oberstufe hieß: Nie wieder Physik! Im Leistungskurs Deutsch fünf Stunden die Woche über Literatur labern! Oberstufe hieß aber auch: Du mußt dich entscheiden, weißt aber genau, daß du von Mathe auch die nächsten beiden Jahre nicht loskommst. Kurz vor dem Wahltermin gab's für uns „Elfer“ einen Sprechtag, an dem die künftigen Kurslehrer ihre Leistungskurse vorstellten.

Es stellte sich heraus, daß lediglich sechs Leistungkurse angeboten werden konnten – Pech für uns, die wir eben nur 27 Leute im Jahrgang zählten. Daß Deutsch, Mathe und Englisch zustande kämen, war klar. Aus dem Kampf um die verbleibenden drei Leistungskurse gingen die Franzosen, Chemiker und Historiker als Sieger hervor. Keine Chance hatten diejenigen, die sich für Bio oder wie ich für Gemeinschaftskunde interessierten.

Manche interessierten sich auch für gar nichts oder konnten sich nicht entscheiden. Gnadenlos waren die der Überredungskunst der Zielbewußten ausgesetzt, von wegen „mach doch Bio, da kriegst du deine zehn Punkte allein durch Auswendiglernen“.

Anders war die Oberstufe tatsächlich. Leistungskurs Deutsch mit Leuten, die sich für das Fach einigermaßen interessierten. Zeit zum Diskutieren, schnucklige Kursgrößen – und nicht zu vergessen: die feuchtfröhlichen Treffen im Wohnzimmer des Englischlehrers. Oberstufe war aber auch der superträge Mathe-Grundkurs mit Leuten, die mit analytischer Geometrie absolut nichts am Hut hatten. Und besonders lästig: die ewige Jagd nach Punkten mit der Abiturprüfung im Nacken – alles, um die „allgemeine Hochschulreife“ zu erlangen. Als wir die dann in der Tasche hatten, fühlten wir uns allemal reif für die Hochschule. Ganz allgemein hatten wir in der Oberstufe schließlich noch gelernt, ein bißchen frei zu sein. Heike Spannagel