Callgirls des globalen Marktes

Werden Frauen die Siegerinnen der Weltwirtschaft, weil sie größere soziale Kompetenzen haben, oder dienen sie den Global Players nur als billige Arbeitskräfte? Ein Kongreß über Frauen und Globalisierung  ■ Aus Berlin Karin Gabbert

Die Telekom hatte Schautafeln in pinkem Digitaldesign aufgestellt, das an ihre Telefonzellen erinnerte. Auf den Tafeln prangten zwei Schlüsselworte: „Frauen“ und „Lösungen“. Was uns das sagen sollte? Die Telekom hat die Lösungen für die Frauen. Oder auch: Die Frauen haben die Lösungen für die Telekom.

Von beidem zeigte sich die Gleichstellungsbeauftragte der Deutschen Telekom, Ihlefeld- Bolesch, auf dem Kongreß „Europa-Union der Bürgerinnen“ wirklich überzeugt. Ohne die soziale Kompetenz von Frauen seien Unternehmen wie die Telekom auf dem internationalen Markt nicht wettbewerbsfähig. Wenn die Frauen bereit seien, eine entscheidende Rolle bei der Globalisierung einzunehmen, hätte sie alle Chancen, zu den Siegerinnen der Weltwirtschaft zu gehören.

„Perspektiven von Frauen für eine globale Zukunft“, unter diesem Motto empfing die Überparteiliche Fraueninitiative Berlin am vergangenen Wochenende zirka 300 Teilnehmerinnen aus 26 Ländern zu ihrem Kongreß im Berliner Abgeordnetenhaus. Glücklicherweise hatten die wenigsten so schnelle Lösungen im Gepäck wie der Global Player Telekom.

Die Glitzerwelt dieser Global Players werde extrem überbewertet, meinte beispielsweise die brillante New Yorker Stadtplanerin Saskia Sassen. Für eine feministische Analyse der Weltwirtschaft müsse man die Auswirkungen der Globalisierung aus der Perspektive der Menschen betrachten. Sie geht davon aus, daß die Globalisierung nicht irgendwo im Cyberspace stattfindet, sondern sich an konkreten Orten abspielt. „Global Cities“ nennt Saskia Sassen Städte wie New York, Tokio und London, in denen sich die Aktivitäten der multinationalen Konzerne und der internationalen Finanzwelt bündeln. Trotz aller rasant fortschreitenden Digitalisierung konzentriere sich die globale Wirtschaft physisch immer stärker an diesen Orten. Deren Manager und Banker seien dabei angewiesen auf ein Heer von Putzfrauen, Hausmeistern, Taxifahrern und Babysittern, die ständig die Voraussetzungen für das Funktionieren der globalen Wirtschaft produzierten. Diese Arbeiten würden meistens nicht mitgedacht, wenn von „Globalisierung“ die Rede sei.

Auch die Bonner Soziologin Christa Wichterich betonte, daß die billige, gefügige und flexible Arbeitskraft von Frauen die ideale Ressource für den immer schnelleren Wettlauf um Kostenvorteile darstellte. Frauen würden zwar als Gewinnerinnen der Globalisierung gelten, da sie vor allem im Süden immer stärker in das Erwerbsleben eingegliedert würden, in Wirklichkeit seien sie aber die „Callgirls des globalen Arbeitsmarktes“. Sie würden zwar zunehmend in Wirtschaft und Weltmarkt integriert, das aber zu meist inakzeptablen Bedingungen.

Die zahlreichen Referentinnen betrachteten die Auswirkungen der Globalisierung von ungeheuer unterschiedlichen ideologischen Standpunkten. Frauen aus dem Management wie Ihlefeld-Bolesch von der Telekom warben dafür, die Globalisierung als Chance zu nutzen. Frauen hätten alle Möglichkeiten, die Konkurrenz gegen Männer zu gewinnen und einflußreiche Posten zu besetzen.

Wichterich und Sassen dagegen kritisierten die Konzentration von Reichtum und Macht bei den Konzernen und Banken. Die wachsende weibliche Armut und Machtlosigkeit sei davon nur die Kehrseite. Der Markt müsse wieder stärker reguliert werden – zum Beispiel durch staatliche Institutionen. Die Nationalstaaten hätten dazu weitaus mehr Möglichkeiten, als sie im Moment vorgeben würden. Christa Wichterich erinnerte hier vor allem Vorschläge zu Transport- und Spekulationssteuern. Linda Shaw aus Großbritannien schilderte die Bemühungen ihrer Organisation, gegen die Deregulierung wieder minimale Arbeitsrechte für Frauen durchzusetzen. Paradoxerweise sei der Einfluß der Frauen in den Gewerkschaften in Großbritannien in dem Maße gewachsen, wie die Gewerkschaften an Einfluß verloren hätten.

Christa Müller vom Bielefelder Institut für Subsistenz ging noch einen Schritt weiter: Ein ökonomisches System, das auf grundsätzlicher Ungleichheit basiere, könne auch keine Gleichheit zwischen den Geschlechtern bringen. Sie plädierte dafür, regionale und teilweise vom Weltmarkt unabhängige Produktionsformen zu schützen. „Um ein würdiges Überleben für alle zu sichern, müssen wir radikal neue Wege beschreiten.“ Bei so konträren Positionen mußte es verwundern, daß das Publikum alle gleich freundlich mit Beifall bedachte. Das war wohl einer Mischung aus Höflichkeit geschuldet und der unhinterfragten Präsenz des großen Wir.

Leider dämpft die Rede von „uns Frauen“ immer wieder die Streitlust. Dabei wäre die hier dringend nötig gewesen, um eigentlich unvereinbare Positionen zur Globalisierung nicht einfach nett nebeneinander stehen zu lassen und dabei Mythen über die gemeinsamen Interessen von Frauen zu produzieren.

Dabei fielen auch manche wichtige Fragen völlig unter den Tisch. Beispielsweise, ob sich die Interessen von Frauen durch die Globalisierung auseinanderdifferenzieren oder ob sie sich aneinander angleichen. Daß eine klare Einschätzung der eigenen Interessen aber die Voraussetzung für jede effektive politische Strategie ist, das erklärte eindrucksvoll eine Vertreterin der französischen Arbeitslosenbewegung, Claire Villiers: „Wenn man arbeitslos ist, hat man einen langen Weg vor sich. Zuerst glaubt man, man ist selber schuld. Dann glaubt man, die Globalisierung ist schuld, bis man in einem dritten Schritt irgendwann versteht, daß wir kollektiv nach Lösungen suchen müssen.“

Die Bewegung in Frankreich sei nicht aus dem Nichts entstanden, sondern das Ergebnis von zehn Jahren zäher Arbeit, in denen vielfältige Zusammenschlüsse ausprobiert worden seien, zum Beispiel mit Wohnungslosen oder mit Elterninitiativen. „Wir wissen, daß wachsendes wirtschaftliches Elend einen guten Boden für populistische und faschistische Bewegungen abgibt. Deshalb brauchen wir radikale Forderungen.“ Dennoch müßten sie über jede ihrer Forderungen, zum Beispiel die nach einem Mindesteinkommen oder dem Recht auf Arbeit endlose Diskussionen führen. Aber garantiert weniger höfliche als auf dem Kongreß.