Weiche Landung zwischen Kabelträgern und Cola

■ Die Berliner Radsportvereinigung leidet trotz Velodrom und Jan Ullrichs Erfolgen an Mitgliederschwund. Auch Sponsoren für Straßenveranstaltungen sind schwer zu finden

Das Velodrom ist eine Radsporthalle – an 109 Tagen im Jahr. Sonst finden andere Sportveranstaltungen und Konzerte in dem einst für die Berliner Olympia-Bewerbung gedachten Gebäude am S-Bahnhof Landsberger Allee statt. Die RadlerInnen braucht es nicht zu stören, wenn der erste Kabelträger anrückt, die Bühne aufgebaut oder der Cola-Nachschub in die Speisekammern gepackt wird. So lange können sie noch auf der Piste fahren. Am Ende wird die Bahn aus Fichtenholz dann allerdings oftmals „überstuhlt“, um mehr Sitzplatze zu schaffen.

Auch in Schöneberg gibt es eine Radrennbahn, die auf Plakaten und Veranstaltungskalendern genannt wird. American Football etwa wird hier gespielt. Anders als in Prenzlauer Berg ist hier, am Sachsendamm, keinerlei Radsport im Terminkalender. Wegen Schäden ist die Anlage, die unter freiem Himmel liegt, für Fahrräder gesperrt. Zur Sanierung fehlt das Geld. 30.000 oder sogar 40.000 Mark, so besagen Schätzungen, würde sie kosten, die der Bezirk Schöneberg jedoch nicht übrig hat. „Genaue Zahlen weiß man erst, wenn man die Latten hochnimmt und den Unterbau sieht“, schwant es Wolfgang Scheibner, dem Präsidenten des Berliner Radsport- Verbandes. Dietmar Volk, sportpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, hält „jegliches Investieren in Alternativen zum Velodrom für problematisch“. Es sei schon jetzt schwierig, die Auslastung des Velodroms durch den Breitensport zu gewährleisten. „Wenn das nicht möglich ist, dann war der ganze Bau für die Katz“, sagt Volk.

In Weißensee ist die Entwicklung schon weitergegangen. Bald wird nur noch die Rennbahnstraße an die dortige Anlage erinnern. Die Radpiste fällt gerade der Spitzhacke zum Opfer. 1955 wurde sie aus einer Trabrennbahn umgebaut. Zu Ost-Zeiten endeten hier „Friedensfahrten“. Nun sollen auf dem Gelände neue Sportanlagen entstehen. Statt dem Radfahren soll man in der mit Sportanlagen nicht schlecht bestückten Gegend dem Fußball und der Leichtathletik fröhnen. Die Neckarsulmer Supermarktkette Lidl ist, zusammen mit der Baumarkt-Firma Hellweg, als Investorin eingesprungen. 3 Millionen Mark investieren die Firmen.

Im Velodrom, wo die Bahn aus Holz und nicht wie in Weißensee aus Zement ist, landen die BreitensportlerInnen weich, aber vielleicht auch öfter. Die Kurven seien für Anfänger zu steil, kritisierte Rainer Hegeholtz, Geschäftsführer des traditionsreichen SC Berlin, die endgültige Verlagerung von Weißensee in die Halle in Prenzlauer Berg. BRV-Chef Scheibner findet, daß das Velodrom ein guter Ersatz ist, und ist froh über die für diese Saison bewilligten 109 Tage. Es sei „nicht abzusehen, daß sich daran in späteren Jahren was ändert“.

In den letzten Jahren sind die Mitgliederzahlen bei den Vereinen, die dem Berliner Radsport- Verband angehören, empfindlich zurückgegangen. Von über 4.600 kurz nach der Wiedervereinigung ging es bis heute auf um die 3.000. „Als Jan Ullrich die Tour de France gewonnen hat, haben wir mit einem größeren Boom gerechnet“, erzählt Präsident Scheibner traurig. Der Landessportbund Berlin (LSB), die Dachorganisation des organisierten Berliner Sports, konnte im gleichen Zeitraum immerhin einen Mitgliederanstieg verzeichnen.

Nicht nur in eine Richtung bewegen sich auch die RadlerInnen auf ihren Fahrzeugen. Mountain- Biking ist im Programm und sogar Radball. Etwa zehn große Straßenrennen pro Jahr richtet der Berliner Radsport-Verband aus, dazu kommen kleinere von den 39 Einzelvereinen. Sponsoren zu finden sei in den heutigen Sparzeiten ein größeres Problem. Gerade bei den Straßenrennen sei das eine wichtige Einnahmequelle, denn für die Straßen könne man ja kein Eintrittsgeld nehmen. Auch bei den Örtlichkeiten war man früher sehr verwöhnt. Heute geht es nicht mehr an, etwa die Königstraße zwischen Wannsee und der Glienicker Brücke – seinerzeit „Brücke der Einheit“ – freizugeben. Hier fließt heute wieder der Autoverkehr von Berlin nach Potsdam. Jetzt müssen Berliner RadlerInnen schon mal 50, 60 Kilometer bis zum Start anreisen. Aber immer noch kann sich der Berliner Radsport-Verband über gute Unterstützung durch die Obrigkeit freuen, erzählt Scheibner. „Wenn wir ausländische Fahrer haben, ist es für die unfaßbar, daß für uns der Kurfürstendamm gesperrt wird.“ Matthias Fink