Parzival bei Adelaide

Auf den Spuren der reinen Farbe: Nikolaus Lang, der staunende Künstler, breitet seine bunten Sandhaufen und Tierfunde im Neuen Berliner Kunstverein aus  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Daß die Kunst von Nikolaus Lang etwas Wunderliches hat, war am Gesicht des Bauarbeiters im Bezirk Mitte abzulesen, der mit dem Eimer in der Hand vor dem Fenster des Neuen Berliner Kunstvereins stehenblieb. Was ihn bannte, war eine kniehohe Pyramide grellgrüner Äpfel, die in einem Plexiglashaus, schon beschlagen von innen, gerade umkippten in Fäulnis. In den Äpfeln steckten, wie Korallenriffe, Hunderte silberner Münzen, einmal gut gereinigt und jetzt angefressen von der aggressiven Feuchtigkeit der Früchte. Er denkt, dachte ich, daß das ein Wahnsinn sei, eine Münzsammlung so zu verwahren.

Schließlich konnte er sich losreißen, blieb aber vor dem nächsten Fenster wieder stehen. In seinem Blickfeld waren drei Gruppen von 55 Tellern, angefüllt mit Pigmenten oder farbigem Sand, ihr Arrangement wieder angelehnt an die Idee und den Grundriß der Pyramide. Ich fragte mich, ob er die Analogie längst gesehen hatte, während ich sie jedenfalls jetzt erst sah, bei dem Versuch, seinen Blick zu entschlüsseln.

Nikolaus Langs Arbeit hat etwas von der Bescheidenheit, die auch dem Werk Timm Ulrichs' eigen ist – definitiv Anti-Pomp, dem Splitter des Gedankens folgend bis an sein scharfes Ende. Während Ulrichs allerdings die Nahtstelle von Kunst und Gesellschaft fortlaufend trennt, um sie in seiner Fasson wieder zu vernähen, schürft Lang am Boden der Kunst dort, wo er darunter die Natur vermutet. Lang, Jahrgang 1941, ein Jahr jünger als Ulrichs, war als Teilnehmer der documenta (1977 und 1987) eine Weile lang ganz gut sichtbar. Die Ausstellung im NBK, mit einem Dutzend Arbeiten, stellt ihn nun wieder ins Licht, wo er hingehört.

Viel von dem, was zu sehen ist, hat Lang in den letzen zehn Jahren in einer südaustralischen Sandgrube gefunden und seinem systematischen Werk einverleibt: die akkuraten Hauben „Bunter Sande“, die so präzise eingepaßt sind in weiße Porzellanteller, daß man beides zunächst für eine technische Einheit hält (wie Ufos). Der Versuch, in den Adern der Grube möglichst reine und voneinander unterschiedene Farben zu isolieren, kehrt wieder in den quadratischen monochromen Fliesen, die der Künstler in einer Ecke, vom Boden her kommend, die Wand hochsteigen läßt, durch rotgolden schimmernde Steine ergänzt zu einem verwegenen Zitat des japanischen Ziergartens.

Als Schlüssel der Ausstellung mag eine Vitrine mit durchtrennten manganhaltigen Knollen dienen, von denen mein Lexikon sagt, sie seien am Tiefseeboden zu finden, aber man wisse nicht, warum. Lang zeigt die Knollen als vielstöckigen Höhlenbau, Hunderte von Miniaturen unter Glas – ergänzt durch einige recht unscheinbare Blätter an der Wand, die die Binnenformen der geöffneten Knollen als symmetrischen Stempeldruck wiedergeben. Sogleich sieht man sich mit der banalen Logik des Rorschach-Tests konfrontiert, der potentiell nichts zeigt; nur eben den Ursprung der Schizophrenie.

Die Physiognomie in der Natur mag eine Chimäre sein, so wie die „Kuhfladenmasken“ von 1972, die als älteste Arbeit an Schilfstöckchen aufgestellt sind wie Fackeln. Dazu allerdings gehören die englischsprachigen Zeitungsausschnitte über die Vereinigte Rote Armee Japans in jener Zeit, die ihre eigenen Mitglieder quälte und exekutierte, bevor sie – nach ihrer Vorstellung – übergehen konnte zum Straßenkampf, tatsächlich aber in der Justizgeschichte Nippons erlosch. Lang befragt die Natur, weil er darin die Natur des Menschen sieht.

Mitte des Monats gab es eine Gelegenheit, Nikolaus Lang zu sehen. Zweieinhalb Stunden erzählte er, mit schwerer oberbayrischer Zunge – die Rede durchsetzt vom Flughafenenglisch unserer Zeit („ein Walk“) – von seinen „Begegnungen“ mit der Farbe. „Der Mensch mußte die Farbe kennen, um sie zu isolieren“, faßte er den Ausgangspunkt seiner Forschungen zusammen, die vor 20 Jahren bei Florenz begannen und in der Nähe des australischen Adelaide über Jahre fortgesetzt wurden.

Dazu gehört auch die Arbeit mit Tieren, zum Beispiel solchen, die von Autos überfahren wurden. Lang hat offensichtlich Techniken, sie zu konservieren, und stellte sie in Australien als Skulpturen und Reliefs aus. Blond und in Bluejeans, wirkt Lang wie das gealterte Model aus der Stuyvesant-Werbung; seine Mischung von Introvertiertheit und Furchtlosigkeit erinnert an Raffael Rheinsberg. Sie ähneln sich auch in ihrer radikalen Erfahrung der Gesellschaften, die auf eigenen Füßen erwandert ist. Lang ist aber näher an der staunenden Figur, dem Parzival.

Als Zeugnis seiner Beschäftigung mit Tieren hängt an der Stirnwand des NBK eine Papierarbeit, die an Yves Kleins Versuche mit bemalten Leibern lebendiger Freundinnen erinnert. Langs „Fuchsabklatsche“ greifen das Pinsel/Stempel-Modell auf, aber die Farbabdrücke des toten Fuchsleibs schildern das Rudel am Rande der Orgie. Der Gestus der Aneignung, der Langs Arbeit durchzieht, meint nicht die Versöhnung mit der Natur, sondern mit der Zivilisation. Man ahnt die Mühen des Widerstands, aber man sieht sie nicht.

Bis 21. Juni, im Neuen Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/29. Katalog mit Text von Eugen Blume und Protokoll von Nikolaus Lang 28 DM