■ CDU-Parteitag: Kohl hält eine staatsmännische Abschiedsrede
: Eine Reise in die Vergangenheit

Der Druck, der auf dem Kanzler lastete, war in der Bremer Stadthalle förmlich zu spüren. Denn trotz der flankierenden Schützenhilfe des Parteitages war klar, daß alles von Kohl selber abhängen würde. Würde er noch einmal durch eine vehemente Rede die Partei aus ihrem Stimmungsloch herausreißen?

Kohl mühte sich redlich, alle Steilvorlagen aufzunehmen, die ihm sein Generalsekretär gegen die Sozis zusammengestellt hatte. Er geißelte die Zusammenarbeit der SPD mit den Kommunisten, er erinnerte an die Blockadepolitik der Sozis bei der Steuerreform, er griff Schröder und Lafontaine als Feinde der deutschen Einheit an. Ja, er hatte sogar einige schöne Bonmots auf Lager wie zum Beispiel, daß die Ankündigung von Schröder, den Aufbau Ost zur Chefsache zu machen, von den Ostdeutschen wohl nur als Drohung empfunden werden könnte. Und trotzdem: Jene kämpferische Aura, die der Parteitag von ihm erhofft hatte, blieb aus. Je länger die Rede dauerte, desto unruhiger warteten die Delegierten auf den großen Knalleffekt, der einfach nicht eintreten wollte.

Es war eine Rede der Defensive, diktiert von den Themen, die Schröder in der Öffentlichkeit längst besetzt hat: Arbeitsmarkt, Innere Sicherheit, Mittelstandsförderung. Nur auf dem Gebiet der Außenpolitik und der europäischen Einigung konnte der Kanzler, mit der G-8-Konferenz im Rücken, noch einmal seine staatsmännische Statur herausstellen – um damit Schröders Defizit zu verdeutlichen. Aber das war zu wenig, um der Partei jene Aufbruchstimmung einzuimpfen, die sie braucht. Kohls Rede war eine Reise in die Vergangenheit, ein wehmütiger, ja nachdenklicher Rückblick auf eine ausklingende Zeit. Er schwelgte in den Erinnerungen an seine Jugendjahre, an die guten Aufbaujahre und an die deutsche Einheit. Die Zukunftsfragen der Gesellschaft blieben symptomatischerweise nebensächlich. Mehr noch: die Rezepte, mit denen Kohl Aufschwung und Zukunftsfähigkeit demonstrieren wollte, klangen hohl. Es waren die altbekannten Wachstumsrezepte, Rezepte, denen die WählerInnen zu Recht nicht mehr trauen. Von Ökologie war in der ganzen Rede kein einziges Mal die Rede. Alles in allem: zu wenig.

Der Schlußapplaus war denn auch eher der Beifall für eine gelungene Abschiedsrede als der Beifall für einen Aufbruch. Das System Kohl hat sich noch einmal erfolgreich selbst inszeniert. Das Gespenst, daß das Ende der Ära Kohl gekommen ist, hat diese Rede nicht vertreiben können. Lothar Probst

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Uni Bremen