„Man muß einen neuen Führer finden“

■ In Berlin lebende Indonesier äußern nur verhaltene Kritik an Präsident Suharto. Sie fürchten einen Bürgerkrieg und um ihre Familie

Politik steht nicht auf dem Programm. Statt dessen: Trachten- Show, Gamelan-Musik, balinesische Tänze und javanische Kampfkunst. Der indonesische Generalkonsul in Berlin, Rachmat Ardibrata hält eine mittelmäßig spannende Rede. Das einzig Erstaunliche: Am Rande der Veranstaltung bezeichnet er die Ideen der Studenten, die in Jakarta demonstrieren, als „richtig“.

Anläßlich der „Reihe von Katastrophen wie Waldbränden, verlängerte Trockenzeit und plötzliche schwere Wirtschaftskrise“ hatte eine Gruppe indonesischer Studierender am Freitag abend in die Alte Mensa der TU zu einem Benefizabend eingeladen. Die Resonanz war enorm: Fast ein Drittel der indonesischen Gemeinschaft in Berlin machte sich auf den Weg.

Auch wenn es eher regierungstreue oder politisch wenig Interessierte sind, die sich hier treffen, gärt es im Publikum. „32 Jahre sind eine lange Zeit“, sagt einer der Musiker, „mich wundert es nicht, daß sich die Wut jetzt gegen Präsident Suharto richtet. Die Menschen haben einfach nichts zu essen.“ Die Motive derer, die plündernd durch die Straßen ziehen, begreift er allerdings auch nur zur Hälfte. „Ich glaube nicht, daß so viele Intellektuelle darunter sind. Wenn ich in Jakarta wäre, würde ich zu Hause bleiben. Das ist das beste Rezept.“ Seinen Namen will er nicht nennen. Es sei sicher nicht gut, wenn der in einer deutschen Zeitung stünde, sagt er.

Die meisten Indonesier haben zur Zeit jedoch stärker Angst um ihre Familie als vor dem Geheimdienst. Seit einer Woche ruft ein sichtlich übermüdeter Elektrotechnikstudent täglich zu Hause an, „aus Angst um meinen kleinen Bruder. Er sagt, er gehe nicht aus dem Haus, aber das geht doch auf Dauer nicht.“ Am Donnerstag abend saß er nichts Böses ahnend vor dem „heute journal“, als es ihm eiskalt den Rücken herunterlief: „Da stand dieser Kriegsreporter mitten in der Jalan Kiai Tapa. In der Straße leben meine Eltern. Alle Geschäfte waren geplündert.“ Erst am nächsten Morgen konnte er zu Hause anrufen. Geschlafen hat er nicht.

Eine junge Mutter hat die Eskalation in der Hauptstadt nicht erstaunt: „Das mußte früher oder später passieren.“ Doch auch sie macht vor allem wirtschaftliche Gründe verantwortlich, an denen „nicht nur der Präsident schuld“ sei. Vor allem aber befürchtet sie, „daß es noch einmal so einen blutigen Bürgerkrieg gibt wie vor Suhartos Machtübernahme“.

Daß nicht viel offene Kritik an dem Suharto-Regime laut wird, wundert wenig. Unter den nur knapp 1.200 Indonesiern, die in Berlin leben, sind viele Studenten, die erst nach sorgfältiger Selektion das Land verlassen durften. Immer wieder werden Fälle laut, in denen Indonesiern, die sich hier kritisch äußern, die Pässe abgenommen werden. „Natürlich gibt es Angepaßte“, sagt Ingrid Wessel, Indonesien-Expertin am Institut für Asienwissenschaften der Humboldt-Universität, „aber viele haben auch Angst vor Repressionen.“ Doch auch in der TU sind ein paar echte Hardliner versammelt, denen der plündernde Mob ein staatsbedrohendes Greuel ist. Ein Reiseveranstalter, der mehrere Geschäfte in Deutschland betreibt, fordert in aller Deutlichkeit einen neuen starken Mann. „Suharto darf auf keinen Fall jetzt schon zurücktreten“, sagt er. „Erst muß man einen neuen Führer aus den Reihen der Mili finden. Die Indonesier sind nicht so intelligent wie die Deutschen. Sie brauchen das.“ Jeannette Goddar