„Die Feder hat nicht mehr gejuckt“

Neuer Schlag für FC St. Pauli: Das Fanzine PiPa Millerntor wird eingestellt  ■ Von Volker Stahl

Harte Zeiten für den FC St. Pauli und seine Fans. Der sportlichen Durststrecke mit dem leichtfertig verbaselten Aufstieg in die erste Liga folgt jetzt die kulturelle Talfahrt: Nach 40 Ausgaben stellt das laut Eigenwerbung „tolle St. Pauli Fußball-Fanzine“ PiPa Millerntor sein Erscheinen ein. Der Grund für das plötzliche Aus ist ontogenetischer Natur: PiPa-Erfinder Jan Müller-Wiefel ist erwachsen geworden. Die damit verbundene Interessenverlagerung ließ dem Fußball zuletzt immer weniger Raum. „Ich habe zum Schluß nicht mehr das Gefühl gehabt, über Pauli ein Heft machen zu müssen, und immer mehr Gastbeiträge gedruckt. Das ist aber nicht Sinn der PiPa“, sagt der fast 19jährige. Neue Werte spielen in seinem Leben neuerdings eine bedeutendere Rolle: Musik, Weizenbier und vor allem Cathrine.

Im Sommer 1992 war das erste PiPa erschienen. Als Herausgeber, Chefredakteur, Layouter und Autor versuchte sich der damals zwölfjährige Schüler vom Blankeneser Gymnasium Kirschtenstraße. „Die Nummer 1 bestand nur aus gesammelten Zeitungsschnipseln, so ein PiPaPo eben, und war nur für mich gedacht. Aber Freunde aus meiner Klasse haben das Heft gesehen und wollten es auch haben“, erinnert sich Müller-Wiefel an die erste Ausgabe. Auflage: Vier Exemplare. „Bis zur Nummer 23 konnte ich dann die PiPa noch bei meinem Vater in der Klinik vervielfältigen, dann mußte ich einen Copy-Shop beauftragen. Später wurden die Hefte in einer Druckerei gefertigt.“

PiPa zeichnet sich im Vergleich zu den Konkurrenzblättern Übersteiger und Unhaltbar weniger durch hintergründige Analysen der Vereinspolitik oder fußballphilosophische Kurz-Essays aus, sondern hatte sich das Motto „gegen Ironie im Stadion“ auf die Druckfahnen geschrieben. Mit dieser Kampagne sollte die Forderung „Keine Politik im Stadion!“ der biederen Paulianer Fanfraktion auf die Schippe genommen werden. „Mir gefällt der schräge Humor“, sagt der an Max Goldt geschulte Titanic-Leser.

Außer satirischen Verbalattacken lieferte PiPa gegen den Strich gebürstete Berichte von Auswärtsspielen, betrieb Hooliganismusforschung und produzierte Vereinstratsch der besonderen Art. Immerhin war das Wiefelsche Zentralorgan so bedeutend für das Vereinsleben, daß ein von der Edelfeder veralberter Dieter Schlindwein mit unwirschem Gegrunze reagierte. „Heute geht es ihm wohl besser“, freut sich der Blattmacher über des Ex-Verteidigers Besserung, „denn er fährt ständig seinen Porsche durch Blankenese spazieren.“

Zuletzt verkaufte der umtriebige Arztsohn bei Heimspielen 1500 Exemplare am Millerntor. Der Preis „bis in alle Ewigkeit“: zwei Mark und fünfzig Pfennige. Den Euro wird das ebenso vereinskritische wie lästerliche Kultblatt nach dem finalen Cut also nicht mehr erleben. „Die Feder hat nicht mehr so gejuckt, wenn ich über meinen FC St. Pauli nachdachte“, vergangenheitsbewältigt Müller-Wiefel. Zur nachlassenden allgemeinen Euphorie in Braun und Weiß gesellte sich kürzlich konkreter Ärger über den Spielerrat, der Trainer Eckhard Krautzun absägte, „ohne sich an die eigene Nase zu fassen“. Dazu der Rausschmiß des fannahen Vizepräsidenten Christian Hinzpeter und der „autoritäre Führungsstil“ von Papa Heinz Weisener. „Der hat seinen Aufsichtsrat genauso gnadenlos durchgeboxt wie Uwe Seeler beim HSV.“

Statt sich weiterhin mit dem FC zu beschäftigen, befindet sich Müller-Wiefel zur Zeit in einem politischen Selbstfindungsprozeß, der ihn bei der Bürgerschaftswahl in die Arme einer Drei-Prozent-Partei getrieben hat. Er strebt vor seinem im November beginnenden Zivildienst ein Praktikum in der Frankfurter Titanic-Redaktion. Sein Wunsch für die Zukunft? „Ich möchte, daß der HSV absteigt. Irgendwann, bitte!“