Ich war eine Fußmatte

■ Ist die Filmbranche nichts als die Zwangskollektivierung natürlicher Feinde? Beim Gucken der Sommerkomödie "Frau Rettich, die Czerni und ich" ahnt man es. Beim Lesen des Tatsachenberichts der Drehbuchautorin weiß man

Als ruchbar wurde, daß die Wahnsinnssumme von sieben Mios auf das Projekt niederprasseln würde, soll der Drehbuch-Koautor Hans Kantereit gesagt haben: „Wir machen halbe-halbe und scheißen einfach auf den Film.“ Im nachhinein darf dieses Verhalten als natürlicher Fluchtimpuls verstanden werden – der freilich zu spät einsetzte. Geblendet von der Traumfabrik der Bavaria Studios, verführt von der Aussicht auf schnellen Ruhm, hatten sich Kantereit wie auch Hauptdrehbuchautorin Simone Borowiak bereits vertraglich dazu bereit erklärt, Beihilfe zu einer Neuen Deutschen Komödie zu leisten. Und das mit dem eigenen Werk als Geisel!

„Frau Rettich, die Czerni und ich“ war nämlich in einem früheren Leben einmal ein Buch. Der heitere, jedoch hart aus dem Leben gegriffene Kurzroman von Ex-Titanic-Autorin Borowiak entspann seine Handlung aus einem weiblichen Trio mit libidinöser Eigendynamik. Zur Schürzung des Knotens im Groben etwa folgendes: Eine scharf rangehende Bürotragödin („Rettich“), eine asexuell mit einem Bartträger liierte, gerne auch schmerzbringende Weine konsumierende DGB-Tante („die Czerni“) sowie ein einsames, aber sprachbegabtes lyrisches Brausen zusammen im Auto gen Spanien, wo Rettich eine Latin-Lover-Variante von Graf Bobby ehelichen soll. Drei Krawallschachteln auf der Straße nach Süden – das schreit doch geradezu nach Verfilmung! Am historisch frühesten hat das mal wieder die FAZ begriffen: „Wer eine federleichte Sommerstory mag, der greife zu“!

Beim Ringen um die Filmrechte machten die Bayern das Rennen. Und Simone ging zum Regenbogen. Für Borowiak begann mit der Erhebung in den Olymp der Filmskriptautoren zugleich das, was bei Brecht „Abbauproduktion“ heißt: die Arbeit im „Team“, die Zerlegung der aristotelischen Einheit von Rettich, Czerni und „ich“ in quasi-industrielle Handlungsabläufe, die Formatierung der „Vorlage“ im Sinne von filmischer Artgerechtigkeit und kassenmagnetischer Schauwertoptimierung. Männer – da sind ja gar keine richtigen Männer drin! – pflegen in solchen Fällen Regie und Produktion zu meinen. Und keine so komplizierten Dialoge, bitte schön!

Man weiß, daß es im Grunde sinnlos ist, Buch und Film gegeneinanderzuhalten, daß das Äpfel und Birnen miteinander vergleichen heißt. Deshalb nur soviel: Im Film sind die Menschen um 65 Prozent schöner, was ca. 35 Prozent zuviel ist. Iris Berben gibt die Rettich, das mag ja noch angehen. Doch Jeanette Hain in der Rolle der Schüchternen – man glaubt es so einer einfach nicht, wenn sie rank und schlank am Strand ins offene Meer stöhnt, sie könne ihrer Libido „beim Absterben zuhören“. Völlig auf der Strecke bleibt dadurch leider auch eine der Borowiakschen Glanzideen: die „Notgemeinschaft dicke Beine“. Wäre auf Zelluloid wohl einfach nicht so gut rübergekommen.

Dafür macht Thomas Heinze als Buchhändler Bakunin hier den Kai Wiesinger, versprüht flakonweise unrasierten Charme – und kriegt die Hain. Überhaupt sind die drei Damen am Ende trotz widriger Umstände allesamt schwanger, was nicht nur im Roman so nicht drin stand, sondern auch etwas von der Härte ahnen läßt, mit der im „Team“ um den finalen Witz gerungen wurde. Nach soundsoviel Umfaserungen der Handlungsstränge ist klar: „Die Filmbranche ist halt doch nur die Zwangskollektivierung natürlicher Feinde.“

Man weiß das heute alles, weil Borowiak in einem beispiellosen Akt der Rache Buch über die Dreharbeiten geführt hat. „Drehbuchänderungen fühlen sich für den Normalautor etwa so an, als würde man einen Vegetarier dazu zwingen, eine Rinderhälfte zu zerteilen“, heißt es in „Erste Zeile, letzte Klappe“, einem schmalen Bändchen, das nicht nur dem Autorinnennarzißmus nachträglich Kühlung verschafft, sondern als Dokudrama mit Enthüllungscharakter daherkommt. Hier sind sie versammelt, die unterdrückten Bögen, in denen das Damentrio (auf hessisch!) kreischend den Kellnern einer französischen Autobahnraststätte SZENEN liefert. All die kranken tollen Einfälle, die nachher der Schere zum Opfer fielen, weil keiner außer der Autorin sie liebte. Aber auch wahre Szenen aus der Produktion: wie DrehbuchschreiberInnen, „die Fußmatten der Gesellschaft“, in einem Hotel des Grauens darbten, während die Stars in ihren komfortablen Sitzduschen Geld wuschen. Und wie einmal Roman Herzog vorbeischaute und die Borowiak nach dem Quell ihrer Inspiration frug. „Fragen Sie mich was Besseres!“ soll jene geantwortet haben, „und wir lachten beide über diese ausgezeichnete Replik“. Das kann halt doch nur Literatur, oder?

Sagen wir so: Der Film ist schon ganz okay. Gegenüber dem, was gemeinhin „Münchner Scheiße“ genannt wird, schimmert an gleich mehreren Stellen eine Art Frankfurter Mehrwert auf, der sich aus der Satire- und Realismus-Tradition der Stadt speist. Heiner Lauterbach wurde ebenso vermieden wie Uwe Ochsenknecht. Aber vielleicht sollten „federleichte Sommerkomödien“ in Zukunft immer im Doppelpack mit streng subjektiv gehaltenen, auktorialen Leidensberichten ausgeliefert werden. Als Reclam-Bändchen: „Materialien zu...“ Oder moderner: „The Making of...“ Für den progressiven Schulunterricht heranzuziehen. Das schafft nämlich Kontexte! Gerade im Brecht-Jahr! Thomas Groß

„Frau Rettich, die Czerni und ich“. Regie: Markus Imboden. Mit Iris Berben, Martina Gedeck, Jeanette Hain u.a. Deutschland 1998

Der Roman von Simone Borowiak ist gerade bei Goldmann als Taschenbuch erschienen. Den Tatsachenbericht „Erste Zeile, letzte Klappe“ gibt es bei Eichborn.