"Keine Trendwende im Osten"

■ Jagoda widerspricht Aufschwungseuphorie. Die Arbeitslosenzahlen sanken innerhalb eines Monats um 202.000 - dank explosionsartiger Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik

Nürnberg (taz) – 4.420.693 Menschen waren Ende April arbeitslos – eine rekordverdächtige Zahl in zweifacher Hinsicht: Noch nie gab es in einem April eine höhere Arbeitslosenzahl, und noch nie hat es im wiedervereinigten Deutschland einen derart starken Rückgang von 202.000 gegenüber dem Vormonat gegeben. Letzteres pickte sich Bundeswirtschaftsminister Günther Rexrodt (FDP) heraus. Ebenso wie schon zuvor Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble sah er nun endlich die „Wende“ am Arbeitsmarkt erreicht. Der Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), Bernhard Jagoda, widersprach vehement: „In den neuen Ländern gibt es noch keine Trendwende, aber es würde mich freuen, wenn ich irgendwann einmal davon reden könnte.“

Im Osten waren Ende April 1,47 Millionen Menschen ohne Job. Das waren zwar 79.800 weniger als im März, aber immer noch 137.000 mehr als im Jahr zuvor. Im Westen unterschritt die Zahl der Arbeitslosen erstmals wieder die drei Millionen. 2,95 Millionen bedeuten einen Rückgang von 122.900 gegenüber dem Vormonat und von 63.100 gegenüber dem Vorjahr. Sieht man von den üblichen jahreszeitlichen Einflüssen ab, verbleibt saisonbereinigt unterm Strich ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen von 15.000 im Westen und 10.000 im Osten.

Wie stark die Arbeitsmärkte auseinanderklaffen, zeigen die Arbeitslosenquoten. In den neuen Ländern liegt sie mit 19,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Westen (9,5). Jagoda machte für den Rückgang der Arbeitslosigkeit die „Fortsetzung des Frühjahrsaufschwungs“, die „Verbreiterung der konjunkturellen Belebung“ – und natürlich die „kräftige Ausweitung der Arbeitsmarktpolitik“ verantwortlich. Daß diese wundersame Vermehrung von ABM, Weiterbildungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen etwas mit dem Wahlkampf zu tun haben könnte, wollte CDU-Mann Jagoda natürlich nicht zugeben: „Das machen wir nicht wegen dem 27. September, sondern wir haben eben einen großen Nachholbedarf.“ Er freute sich, daß „wieder mehr Menschen geholfen werden“ könne.

Nach Jahren des Zurückfahrens gelang es der Bundesanstalt, die Zahl der ABM-Beschäftigten allein in den neuen Ländern binnen Monatsfrist um 45.600 zu erhöhen. In den alten Ländern waren es noch einmal 8.000. Jagoda räumte ein, daß ohne diese Ausweitung die saisonbereinigte Abnahme der Arbeitslosigkeit im Westen gegenüber März „nur etwa halb so groß gewesen“ wäre. Im Osten hätte es gar „statt des Rückgangs eine leichte Zunahme“ gegeben. Bernd Siegler