Klagen gegen Transparenz

■ Hersteller blockierten kritischen Arznei-Report. Neuauflage erscheint 1998

Der Reiz des Verbotenen macht Bücher spannend. Seit letztem Jahr kursiert ein medizinisches Werk mit geschwärzten Passagen, sogar der Name eines Herausgebers ist überdeckt. Es geht um die Wirkungen von Arzneimitteln, dargestellt in der 97er Auflage des „Arzneiverordnungsreports“. Vergleichende Übersichten, welche Medikamentgruppen durch andere ersetzt werden können, ärgern natürlich deren Hersteller. Unzumutbar erschien einigen auch eine Tabelle, die „umstrittene Arzneimittel“ zusammenfaßt. Gerichte erließen einstweilige Verfügungen. Nur mit Schwärzungen durfte der Arzneiverordnungsreport seinen Weg vom Stuttgarter Gustav Fischer Verlag in die Regale von Buchhandlungen und Sprechzimmern nehmen.

Seit 1985 bringt ein Gremium von Wissenschaftlern diesen Report heraus. Die Daten stammen aus dem jährlichen Arzneimittelindex der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), der per Stichprobe jedes 1.000. Rezept erfaßt.

Urteile in den Hauptverfahren stehen noch aus. Für den geschwärzten 97er Report ist das nicht mehr so wichtig, jetzt stehe die neue 98er Ausgabe an, erklärt Gisbert Seike, Mitarbeiter des GKV-Arzneimittelindex. Aber generell sei der Prozeßausgang wichtig: „Es geht um die Frage, wieweit Krankenkassen steuernd eingreifen können, wieweit sie ihre Dienste für Transparenzprojekte zur Verfügung stellen können.“

Weniger Probleme haben Verbraucherverbände mit der Veröffentlichung brisanter Daten über Arzneimittel. „Für uns ist es einfacher, weil wir keine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind“, erklärt Christoph Kranich, Leiter der Abteilung Gesundheitsdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Zentrale gibt zusammen mit anderen Verbraucherorganisationen die „Kieler Liste notwendiger Arzneimittel“ heraus, in der für 400 Wirkstoffe, die von Allgemeinärzten häufig eingesetzt werden, Originalpräparat und preiswerte Alternative genannt werden.

Der Konflikt über umstrittene Medikamente wird wohl weitergehen, bis die seit rund 20 Jahren währende Übergangsphase ein Ende findet. Die 1978 eingeführte Zulassungspflicht für Arzneimittel wird immer noch durch eine wichtige Ausnahme ausgehöhlt. Produkte, die vor 1978 im Handel waren, durften vorerst ohne Prüfung weiter verkauft werden, bis diese nachgeholt sein würde. Der Antragsstau, erst beim Bundesgesundheitsamt, jetzt bei dessen Nachfolger, dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte, ist immer noch immens. Um wenigstens einen Teil der Antragsteller loszuwerden, führte die Bonner Koalition 1994 eine Sonderregelung ein, nach der auch Hersteller, die ihren Antrag zurückziehen, bis Silvester 2004 ihre Mittel verkaufen dürfen. So sind heute 6.000 Arzneimittel in Deutschland erhältlich, bei denen das Verkaufsverbot nur eine Frage der Zeit ist. Insgesamt waren 1997 von den rund 44.000 Arzneimitteln noch rund die Hälfte ohne die vorgesehene Prüfung. Auch die EU- Kommission moniert, daß es in Deutschland immer noch unzugelassene Arzneimittel gibt – ein Vertragsverletzungsverfahren läuft.

In Bonn gibt es weitere Pläne. Nach einem Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium soll das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Gebühren saftig erhöhen, die bei der Zulassung fällig werden. Statt bisher 3.100 Mark sollen pro Medikament 23.000 Mark fällig werden.

Marina Steindor, Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, sieht dies als Gefahr für kleinere Unternehmen, vor allem im Bereich der besonderen Therapierichtungen, wie homöopathisch, anthroposophisch oder auf pflanzlicher Basis arbeitende Hersteller. Auch die Grünen seien dafür, daß mancher „Schrott“ vom Arzneimarkt verschwinde. Aber „die Bundesregierung macht eine Marktbereinigung nach Kapitaldecke, wir wollen eine qualitätsorientierte Marktbereinigung.“ „Bei besonderem öffentlichen Interesse und in Härtefällen können die Gebühren reduziert werden“, argumentiert Hartmut Schlegel, Sprecher des Gesundheitsministeriums. Steindor meint indessen, daß solche Ausnahmen keine Transparenz, sondern eher mehr Kungelei zur Folge hätten. Matthias Fink