Als Mutter unter Leistungsdruck

Wir, die Müttergeneration von heute, haben große Mühe, die richtige, die wahre oder wenigstens die zu uns passende Erziehungsmethode zu finden. Denn wir haben niemanden, an dem wir uns vorbehaltlos orientieren können. Unsere verklemmten Eltern und Nazigroßeltern haben sich als Vorbild disqualifiziert, das Band zwischen den Generationen ist zerrissen.

Geblieben sind uns die Ratgeber und Antiratgeber. Unsere Regale brechen unter den Pädagogikbänden fast zusammen. Kinder-Gesundheitsbücher, Kinder-Ernährungsbücher, Kinder-Beschäftigungsbücher, Kinder-Sauberkeitsbücher. Wir sind die ratlose Ratgeber-Generation. Umzingelt von wohlmeinenden PädagogInnen, belagert von gutwilligen KinderärztInnen, überwacht von sanftäugigen JugendhilfebürokratInnen, die allesamt untereinander in ihren erzieherischen Ansätzen heillos zerstritten sind.

Überall um uns herum wackelt es ständig bedenklich mit dem Kopf: „Man muß Kinder verwöhnen! Von Liebe und Zuneigung kann es niemals genug geben!“ „Nein, man darf Kinder nicht verwöhnen! Man muß auch mal Strenge walten lassen, sonst werden sie kleine Ego-Monster.“ „Man darf Kinder auf keinen Fall zu etwas zwingen! Sonst wird ihre Abneigung, ihr Unwillen immer größer.“ „Nein, man muß sie manchmal zwingen! Sie müssen elterliche Autorität zu spüren bekommen.“ „Man sollte sie in den Dingen des Alltagslebens mitbestimmen lassen!“ „Nein, solange sie kleiner sind, überfordert sie das völlig! Man muß ihnen deutlich sagen, was für sie das Beste ist.“ Fest umschlossen von einem fürsorglichen Belagerungsring, lernen wir vor allem eines: Wie wir es auch machen, wir machen es falsch. Also unterdrücken wir vorsichtshalber jede Spontaneität und Intuition. Und machen es damit zum Schluß so richtig falsch.

Die Herstellung eines gut funktionierenden Produktes der Sorte Kind ist heute so aufwendig wie vielleicht noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. „Die neue Elternpflicht heißt – optimale Startchancen fürs Kind“, schreibt die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim. Früher liefen Kinder im Alltagsleben eher unbeachtet einfach mit, oder sie mußten gar – wie in vielen Teilen der Welt immer noch – Erwerbsarbeit leisten. Heute, im Zeichen von Individualisierung und Globalisierung, ist es die soziale Pflicht von Eltern – in der Praxis heißt das aber meistens: der Mütter –, ihre Kinder mit allumfassenden Förderprogrammen auf den Überlebenskampf von morgen zu programmieren.

Schon vor der Geburt wird der Embryo mit Ultraschall und pränataler Diagnostik verfolgt. Es wird genau kontrolliert, ob das werdende Kind der Norm entspricht. Wenn es dann geboren ist, wird man ihm keine Ruhe geben, bevor es nicht sämtliche verfügbaren Vorsorgeuntersuchungen, psychologische Beratungen, Eltern- Kind-Programme, Sprach- und Klavierübungen, Sportprogramme, Computerkurse und Ballettstunden absolviert hat.

Die moderne Mutter hat diese modernen Mutterpflichten verinnerlicht. Schon in ihrer Stillgruppe oder in der Kindergartenkrippe sind die Mütter in einem gnadenlosen Konkurrenzkampf verstrickt, wessen Kind zuerst gelächelt oder „Mama“ gesagt hat, wer das bestgefördertste Babyprodukt vorzuweisen hat. „Ja, mein Klein-Wilhelm ißt am liebsten Müsli- Papp von Hippi!“ „Also ich würde meiner Klein-Annegret-Amalie niemals einen Fertigbrei geben. Ich koche immer selbst, und nur das Beste!“ „Ja, also mein Klein- Bruce Lee ist mit seinen anderthalb Jahren schon 140 Zentimeter groß. Das kommt sicher daher, daß ich immer auf die optimale Mischung bei seinen täglichen Nahrungseinheiten achte!“

Oh ja, es ist leicht, sich über diese mamaesken Dämlichkeiten lustig zu machen. Aber man vergißt dabei, daß Mütter sich selbst und anderen damit nur beweisen, daß sie ihren gesellschaftlichen Auftrag ordnungsgemäß durchführen. Und man vergißt dabei auch, daß diese Gesellschaft seit Jahrhunderten damit beschäftigt ist, alles, was mit Mutterschaft und Kinderaufzucht zu tun hat, gnadenlos zu entwerten.

Mutterschaft, das haben uns Henri Rousseau, Friedrich Schiller und all die anderen ach so progressiven Aufklärer beigebracht, das ist der Inbegriff von züchtiger Demut und selbstloser Liebe. Eine Mutter will nichts als das Wohl ihres Kindes. Darin geht sie auf, das ist ihr Lebensglück und Lebenszweck. Eine Mutter beweist, daß sie eine richtige Mutter ist, indem sie ihre eigene Person für unwichtig, nebensächlich, nichtig erklärt.

Die patriarchale Gesellschaft spiegelt die gesellschaftliche Nichtigkeit von Müttern exakt wider und konstituiert sich darüber immer wieder neu. Alles, was mit Kinderkriegen und Kindererziehung zu tun hat, wird systematisch abgewertet. Ob es nun die Hebammen sind oder die Kinderkrankenschwestern, die Tagesmütter, Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen – ihnen allen wird eine fiskalische Anerkennung ihrer hohen Verantwortung für das Wohlergehen der ihnen Anvertrauten verweigert. Ein Heizungsmonteur oder Automechaniker wird allemal besser entlohnt als eine Hebamme. Dieser Gesellschaft erscheint die angemessene Behandlung von Maschinen wichtiger und wertvoller als die angemessene Behandlung kleiner Menschen.

Eine Mutter und Hausfrau gilt erst recht nichts. Wessen Arbeitskraft fast umsonst ist, der oder die kann ja nicht viel taugen. 600 Mark Erziehungsgeld im Monat sind zwar ein enormer Fortschritt gegenüber früheren Zuständen, im Vergleich zum Geleisteten aber doch eine lächerliche, geradezu beleidigende Summe Geld.

Wenn eine Mutter zu Hause bleibt, fehlen ihr also Einkommen und gesellschaftliche Anerkennung. Jede Frau, die kurz- oder längerfristig als Hausfrau arbeitet, kennt die geringschätzigen Blicke, wenn sie nach ihrem Beruf gefragt wird. Wenn eine Mutter aber halbtags berufstätig ist, fehlt ihr die Hälfte des Einkommens und der gesellschaftlichen Anerkennung. Jede Teilzeitarbeiterin kennt die Gedankenlosigkeit, mit der sie bei internen Absprachen oder zu verteilenden Aufgaben übergangen wird. Wenn eine Mutter aber ganztags außer Haus arbeitet, dann gilt sie als Rabenmutter, die die heilige Aufgabe der Mutterschaft verrät, ihre Kinder der Kriminalität anheimgibt und einzig hinter dem schnöden Mammon her ist. Mit anderen Worten: Mütter machen, was sie auch tun, immer alles falsch. Zumindest nach öffentlicher Meinung.

Was also bleibt einer Mutter? Wie kann sie ihren gesellschaftlichen Wert beweisen? Doch nur anhand der Produkte ihrer Arbeit, und das sind nunmal in erster Linie ihre Kinder. Das macht es nicht erfreulicher mitanzusehen, wie die Mütter von Klein-Wilhelm und Klein-Annegret- Amalie sich aufs heftigste gegenseitig zu überbieten suchen. Aber vielleicht doch ein wenig verständlicher. Ute Scheub

Die Autorin arbeitet als Journalistin und hat einen vierjährigen Sohn