Feilschen um den Teilrückzug

Während Arafat und Netanjahu in London verhandeln, machen die Siedler in Jerusalem für ein Groß-Israel mobil. Notfalls wollen sie die Regierung zu Fall bringen  ■ Von Georg Baltissen

Jerusalem (taz) – Vor dem Wohnsitz von Ministerpräsident Netanjahu hat eine israelische Friedensgruppe ein „Friedenszelt“ errichtet. Bis zur Rückkehr des Ministerpräsidenten aus London wollen die Friedensbewegten ausharren. „Wir brauchen Frieden, um ein Desaster zu vermeiden“, sagt Professor Dan Jacobsohn von der Universität Tel Aviv, einer der Führer der Friedensgruppe. Blau- weiße Bänder hängen am Zeltdach. „Manchmal behauptet die Rechte, sie sei das nationale Lager“, sagt Jacobsohn, „aber wir gehören zur selben Nation und demselben nationalen Lager.“ Nur wenige Meter entfernt auf der anderen Straßenseite stehen jene, die sich für die wahren Nationalisten halten. Israelische Siedler halten Plakate hoch, die ihren Anspruch auf „Groß-Israel“ bekräftigen und Netanjahu vor jedem weiteren Rückzug warnen.

Während in London um die Prozentpunkte eines möglichen israelischen Teilrückzugs gefeilscht wird, haben die Siedler mobilisiert, um Netanjahu auch nur an den geringsten Zugeständnissen zu hindern. Der „Rat der Siedler in Judäa und Samaria“ hat eine Dringlichkeitssitzung einberufen, um über mögliche Maßnahmen gegen einen Teilrückzug zu beraten. Die erste Tat besteht darin, die Groß- Israel-Protagonisten in der Knesset zu einer deutlichen Stellungnahme zu bewegen. Ihr Führer Michael Kleiner droht Netanjahu denn auch ganz unverblümt. „Wenn Netanjahu einem Rückzug zustimmt, werden wir die Regierung stürzen. Er hat 61 von 120 Stimmen. Da reichen ein paar von uns aus“, sagt Kleiner. Ob dies eine leere Drohung ist, ist schwer auszumachen. Bislang haben die Siedler und ihre Helfershelfer in Netanjahu noch stets den besten Verbündeten gesehen. Die beiden Minister der National-Religiösen Partei erklären dagegen voller Stoz, daß Netanjahu ihnen nach der sonntäglichen Kabinettssitzung die schriftliche Zusicherung gegeben habe, daß er keinen „Deal“ mit der US-Außenministerin Albright abschließen werde, ohne vorher das Kabinett zu Rate zu ziehen.

Der bisherige Verlauf der Verhandlungen in London scheint diese Strategie zu bestätigen. „Israel ist bereit, so flexibel wie möglich zu sein“, sagt Netanjahus Medienberater David Bar Ilan. Er verweist auf den Flughafen im Gaza-Streifen und den Industriepark Karni, die sofort geöffnet werden könnten. Der Frage, aus wieviel Prozent des Landes Israel zum Rückzug bereit ist, weicht er aus. „Es geht nicht um einen bestimmten Prozentsatz, es geht um unsere Sicherheit“, erklärt Bar Ilan.

Den Palästinensern aber geht es sehr wohl um den Prozentsatz. Nabil Shaat, Minister für internationale Zusammenarbeit, sagt: „Bislang hat Israel keinen substantiellen neuen Vorschlag gemacht.“ Und sein Ministerkollege Sa'ab Ereikat wird noch deutlicher: „Netanjahu versucht, die ganze Welt zum Narren zu halten und alle von einer Verhandlung in die nächste zu ziehen, ohne daß etwas dabei herauskommt.“