Ins männliche Zitierkartell aufgenommen

■ Einmalige Ringvorlesung: Männliche Wissenschaftler würdigen feministische Impulse

Am Anfang war die Wut. „Feministische Wissenschaftsansätze kommen im Zitierkartell nicht vor“, befand Claudia von Braunmühl, Honorarprofessorin am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität (FU). Und die Wut wurde zur Tat. Auf ihre Initiative beginnt heute eine bundesweit einmalige Ringvorlesung an der FU. Männliche Politikwissenschaftler, Informatiker, Biologen, Pädagogen, Historiker, Umweltplaner, Sozialmediziner und Afrikawissenschaftler werden die feministischen Impulse in ihrem jeweiligen Fachgebiet würdigen. Obwohl feministische Theorieansätze mittlerweile überall präsent seien, verweigere die patriarchale Wissenschaftskultur „ihren weiblichen Counterparts die Anerkennung der wissenschaftlichen Satisfaktionsfähigkeit“, schreibt Entwicklungsexpertin von Braunmühl in ihrer Begründung für die Veranstaltungsreihe. „Zu einer Diskussion über Triftigkeit oder Dürftigkeit feministischer Ansätze kommt es so erst gar nicht.“ Allenfalls werde eine Frau gesucht, wenn ein Podium wieder einmal rein männlich bestellt sei.

So überfällig der wissenschaftliche Dialog zwischen Männern und Frauen also ist, so schwierig war er zu organisieren. Immer wieder mußte die Professorin zusammen mit einer Mitarbeiterin die Erfahrung machen, daß die von ihnen angesprochenen Wissenschaftler auf ihre „wunderbare und überaus kompetente“ Kollegin XY verwiesen, die sich bei diesem Thema „doch viel besser“ auskenne. Andere gaben offen zu, sie hätten sich noch nie mit feministischen Ansätzen beschäftigt. Nur einer habe mit den Worten reagiert: „Wie schön, auf diese Weise kann ich mich endlich bei den Frauen bedanken, von denen ich so viel gelernt habe.“ Den wissenschaftlichen Reigen eröffnet heute der Friedensforscher Uli Albrecht. Der Politikwissenschaftler will unter anderem die Erkenntnisse der Engländerin Ann Tickner referieren, die Realpolitik als Produkt des „männlichen Sozialcharakters“ dekonstruiert hat.

Am 30. April folgt ein Vortrag des TU-Wissenschaftlers Wilhelm Quitzow über den „Beitrag feministischer Wissenschaftskritik zum Selbstverständnis der Naturwissenschaften“. Der Informatiker Dirk Siefkes redet am 7. Mai zum Thema „Abspalten oder Verbinden? Oder beides? Fragen zum wissenschaftlichen Arbeiten“. Am 28. Mai ist ein Referat des Kulturwissenschaftlers Dietmar Kamper unter dem Titel „Gibt es einen weiblichen Blick?“ geplant. Es folgt am 4. Juni ein Beitrag des Molekularbiologen Ernst-R. Lochmann unter der Frage „Gibt es eine feministische Naturwissenschaft?“. Der Historiker Hartmut Kaelble referiert am 11. Juni „zur Frauenforschung in der Geschichtswissenschaft“. Am 18. Juni wartet der Pädagoge Heinz-Elmar Tenorth mit der „Rezeption feministischer Theorieimpulse in den Erziehungswissenschaften“ auf. Danach reflektiert Umweltplaner Jochen Hanisch über die gängige Praxis einer Planungsdisziplin: „Ein Bolzplatz für Mädchen und ein angstfreier Spaziergang im nächtlichen Raum“. „Emanzipation als Differenzierung“ lautet das Thema des Sozialmediziners Alexander Schuller am 2. Juli. Das letzte Referat der Reihe, die auch in Buchform erscheinen soll, hat der Afrikawissenschaftler Albert Wirz übernommen: „Von der Entdeckung der Frauen zur Moralischen Physiologie. Körperdiskurse und Sozialgeschichte“. Alle Veranstaltungen finden jeweils donnerstags von 16 bis 18 Uhr im Containerraum G1 auf dem Parkplatz des Osteuropa-Instituts in der Garystraße 55 statt. Ute Scheub