Beruf: Präsidententochter

■ Der Erstlingsroman von Mazarine Pingeot, Mitterrands Tochter, wird zum Medienereignis

„Schriftstellerin“ soll schon früh der Berufswunsch der heute 23jährigen Mazarine Pingeot gewesen sein. Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb sich der schwerkranke französische Präsident François Mitterrand in seinem letzten Amtsjahr öffentlich zu dieser unehelichen Tochter bekannte.

Jedenfalls verhalf Mitterrand dem jahrelang vor der Öffentlichkeit versteckten, wenngleich von Präsidialpolizisten auf Staatskosten bewachten Mädchen mit dem Outing über Nacht zur Berühmtheit. Die französischen Zeitungen priesen ihre Intelligenz und brachten lange „Enthüllungs“-Berichte über die Vater-Tochter-Beziehung. Die Paparazzi richteten sich vor der Wohnung der Eliteschülerin ein, die den Familiennamen ihrer Mutter trägt. Mitterrands Beerdigung im Januar 1996 geriet zu Mazarine Pingeots zweitem öffentlichen Auftritt. Die junge Frau bot seinerzeit ein hübsches Objekt für die Beerdigungsberichterstatter. Zudem erlaubte ihre Anwesenheit alle möglichen Spekulationen über das Privatleben des Verstorbenen.

In der vergangenen Woche hatte Mazarine Pingeot ihren dritten großen Auftritt. Dieses Mal als Schriftstellerin. Sie veröffentlichte ein Buch, das auf 268 Seiten die Liebschaften, Lektüren, Philosophierereien und kleinen Abenteuer einer Eliteschülerin in Paris beschreibt. Gewidmet ist das Buch mit dem nicht gerade originellen Titel „Premier roman“ dem Vater. Obwohl der Roman gut lesbar ist und ein paar Einblicke in den banalen Lebenswandel der Jeunesse doŕee der Pariser Rive Gauche gibt, hätte ihn vermutlich niemand bemerkt. Da die Autorin jedoch eine Präsidententochter ist, dazu eine außereheliche (die einzige, zu der sich Mitterrand bekannt hat) und außerdem über ein ausgeprägtes PR-Talent verfügt, wurde das Ganze zum Titelereignis.

Mazarine Pingeot und ihre Lektorin aus dem Verlag Julliard schickten das Buch vorab an drei ausgewählte und angesehene Journalisten in ebensolchen Medien: die liberale Tageszeitung Le Monde, das Wochenblatt des linken Establishments Nouvel Observateur und den größten Fernsehsender Frankreichs, den Privatkanal TF 1. Alle drei bissen an und machten wohlwollende Titelgeschichten mit großen Bildern.

Das Buch spielte bei dem Ganzen nur eine vordergründige Rolle. Eine Kritikerin, die es in eine Reihe „zwischen Sagan, Beauvoir und Yourcenar“ stellte, blieb allein. Alle anderen Renzensenten übersprangen die literarische Kritik, um gleich auf das „Wesentliche“ zu kommen. Auf der Suche nach verborgenen Geheimnissen aus dem Leben des verstorbenen Präsidenten durchkämmten sie das Buch mit dem Rotstift. Die leidenschaftliche Bewunderung der Romanheldin für ihren Romanvater. Die Toleranz des alten Romanvaters. Seine Ehe und seine Nebenbeziehungen – all das werteten die „Rezensenten“ als mögliche Hinweise auf Mitterrand.

Romanautorin Mazarine Pingeot spielte mit. Zugleich wollte sie alle (auch sich selbst?) glauben machen, sie habe das Buch veröffentlicht, um „aus dem Schatten des Vaters“ herauszutreten. Deswegen sei kein Pseudonym in Frage gekommen. Und deswegen sei sie damit auch in die Medien gegangen. Der Privatkanal TF 1 gab der jungen Frau eine knappe Stunde Zeit, um diese Botschaft unter ein Millionenpublikum zu bringen. Jetzt wolle sie nicht mehr wegen ihres Vaters, sondern bloß noch ob eigener Leistungen gemocht oder kritisiert werden.

Es war ein flaches, langatmiges Gespräch, dem anzumerken war, daß der Journalist sich bemüht hatte, nett zu fragen, daß es lange vorher aufgezeichnet und daß es sorgfältig geschnitten worden war. Später erfuhr die französische Fernsehnation dank des Wochenblatts Canard enchainé, daß nicht nur der Journalist, sondern auch der Verlag an dieser Zensorenarbeit beteiligt war. Im „Interesse der Autorin“, die sicher sein wollte, daß es um ihr Buch und nicht ihren Vater gehen sollte.

Das Millionenpublikum sah aber trotzdem vor allem die Mitterrand wie aus dem Gesicht geschnittene Tochter auf den Bildern. Die Einschaltquoten im Fernsehen und die Auflagen der Printmedien waren hoch, und „Mazarines“ Roman liegt jetzt ganz oben in den Schaufenstern der Buchläden. Daß frau so aus einem Vaterschatten heraustreten kann, darf bezweifelt werden. Daß der Medienerfolg zwangsläufig die Anfänge einer vielversprechenden schriftstellerischen Karriere markiert, auch. Aber eine gute Promotion für die Jungautorin „Mazarine“ und für ihren Verlag war die Operation auf jeden Fall. Dorothea Hahn

Mazarine Pingeot: „Premier roman“. Julliard, Paris 1998, 268 S., 129 FF