Feilschen um den neuen Regierungschef

Trotz Niederlage ist Rußlands Präsident weiter gewillt, seinen Kandidaten für das Premierministeramt in der Duma durchzudrücken. Die Kommunisten wollen jetzt das Verfassungsgericht anrufen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Rußlands Präsident Boris Jelzin bleibt unbeugsam. Für Freitag plant der Kremlchef, seinen Kandidaten für das Amt des Premierministers zum zweiten Mal der Staatsduma zur Abstimmung vorzustellen. Beim ersten Wahlgang vergangene Woche sprachen sich weniger als ein Drittel der Abgeordneten für den 35jährigen Sergej Kirijenko aus. Um im Amt mit einfacher Mehrheit bestätigt zu werden, fehlten ihm 83 Stimmen. Dessen ungeachtet hält Boris Jelzin an seiner Wahl fest: „Ich sage es nochmals, ich habe keinen anderen Kandidaten und werde auch keinen mehr vorschlagen.“

Inzwischen regen sich allerdings Zweifel, ob der Präsident, sollte er seinen Favoriten ein zweites und drittes Mal zur Wahl stellen, noch im Einklang mit der russischen Verfassung handelt. Kommunistenchef Gennadij Sjuganow, dessen Partei die größte Fraktion im Parlament stellt, deutete unterdessen an, die heikle Frage vorm Verfassungsgericht klären zu lassen: „Es macht keinen Sinn, noch einmal abzustimmen, das verstößt gegen die Verfassung.“ Das russische Grundgesetz sieht drei Abstimmungen vor, lehnt das Parlament auch im letzten Wahlgang den Vorschlag des Präsidenten ab, müßte das Staatsoberhaupt die Duma auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Umstritten ist indes, ob der Präsident überhaupt befugt ist, einen bereits abgelehnten Bewerber nochmals zu präsentieren. Die Verfassung äußert sich dazu nicht eindeutig. Artikel 111 spricht lediglich von einer „dreifachen Ablehnung der vom Präsidenten vorgeschlagenen Kandidaturen“. Ein gängiger Kommentar zur Verfassung, der vom Verfassungsrichter Kudrjawzew erstellt wurde, gelangt allerdings zu dem Schluß: Da von drei möglichen Kandidaturen die Rede ist, müßten mindestens zwei unterschiedliche Kandidaten vorgeschlagen werden.

Ob Gennadij Sjuganow das Parlament dazu bewegen kann, das Verfassungsgericht anzurufen, steht indes auf einem anderen Blatt. Eine Krise zwischen Parlament und dem Präsidenten wäre zwangsläufig programmiert. Die Mehrheit der Parlamentarier, einschließlich der Opposition, hat sich komfortabel eingerichtet. Neuwahlen anderthalb Jahre vor Ablauf der Legislaturperiode wären nicht nach ihrem Gusto. Die Kommunisten befürchten, Sitze an die radikalere Linke zu verlieren, während Chauvinist Wladimir Schirinowski womöglich gar nicht mehr in die Duma einzöge.

Insofern gleicht das Kräftemessen einem Showkampf, der aber, begeht eine der Seiten unachtsam eine Regelverletzung, leicht zu Kalamitäten führen könnte. Bisher genießen die Abgeordneten – von der Verfassung mit einem kümmerlichen Schattendasein abgespeist – die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit. Nach der Wahl des Premiers rutschen sie wieder ins zweite Glied.

Unterdessen machte sich Alexander Schochin, Chef der dem Präsidenten bis zum Regierungswechsel im März nahestehenden Fraktion „Unser Haus Rußland“, für eine Verfassungsänderung stark. Er regte an, die Amtsgeschäfte im Krankheitsfalle des Präsidenten nicht mehr an den Premier, sondern an den Vorsitzenden des Oberhauses des Parlaments zu übertragen. Boris Jelzin wies den Vorschlag zurück: „Solange ich Präsident bin, wird die Verfassung nicht geändert.“