Löchrige Bergromantik

■ Kriegsflüchtlinge im Schweizer Exil: „Eine Ausländerklasse“ (Dokfilm, arte, 20.45 Uhr)

Ein Idyll. Schweizer Berge, sprudelnde Bäche, dazwischen toben munter Schüler herum. So soll sie sein, die Schweiz, so ist sie in „Heidi“ und im Heimatfilm. Ein Junge sitzt über ein Blatt Papier gebeugt und malt – die Berge wahrscheinlich. „Ich zeichne“, sagt er, „und versuche zu vergessen.“ Er blickt auf: „Die Bilder vom Krieg gehen dann raus.“ Der Junge kommt aus Bosnien. Er ist Kriegsflüchtling und sitzt in der französischen Schweiz gemeinsam mit anderen Schülern – Bosniern, Portugiesen, Türken, Kurden, Albanern – in einer „Ausländerklasse“, um Französisch zu lernen.

Ein Idyll auch, wo die Kinder wohnen: Hier der Garten, in dem die kurdische Familie Bohnen anpflanzt; dort das Wohnviertel, wo sie alle wohnen, die Straße, die Wiese, ein Balkon, überladen von roten Geranien. Deren Besitzer lebt seit 39 Jahren hier, für seine Balkonblumen bekam er mal einen Preis. Früher, erzählt er, gab es hier viele Schweizer. Jetzt aber fühlten sich die Flüchtlinge hier wie zu Hause, dürften alles. „Ich habe nichts dagegen, ich bin kein Rassist.“ Er macht eine Pause. „Man wird es“, sagt er dann.

Solche Szenen zeigt Fernand Melgars Film ganz nebenbei. Es gibt aber auch andere: Der Gartennachbar, der den Kurden beispielsweise erklärt, warum es so schwer ist, in den Gärten Kontakt zueinander zu bekommen: „Die guten Schweizer pflegen ihre Wege. Unsere ausländischen Freunde pflegen den Boden, um Gemüse anzupflanzen, nicht, um Wege anzulegen.“ Doch es geht in dem Film nicht um das Verhältnis der Ausländer zu den Schweizern, sondern um das Leben seiner Protagonisten: das Leben der Schülerinnen und Schüler jener „Ausländerklasse“, und das ihrer Familien. Indem Fernand Melgar von diesen Leben erzählt, erzählt er von der Angst vor dem Krieg in Bosnien, der Zerrissenheit der Familien, der Abhängigkeit von den Behörden.

Ganz leise und langsam zerreißt der Film das Schweizer Idyll, indem er in seinen Bildern genauso akribisch vorgeht wie die Schweizer beim Anlegen ihrer Wege. Doch was der Film so still erzählt, könnte auch geschrien werden.

Am Ende sitzen die Schüler inmitten der Berge, es ist Abend, ein Feuer brennt, ein türkisches Lied. „Eines Tages könnt ihr vielleicht zu mir nach Bosnien kommen, wenn der Krieg verschwunden ist“, sagt die 15jährige Minka. Bis zum 30. April 1998 müssen alle Bosnier aus der Schweiz verschwinden, diese Information trägt der Abspann nach. „Rückschaffung“ nennen die Eidgenossen das. lm