Raphaelswerk hat den Schlüssel zur Welt

uswanderung hat unter bosnischen Kriegsflüchtlingen in Bremen einen Namen: Raphaelswerk. Seit sich abzeichnet, daß viele der derzeit noch über 1.000 Flüchtlinge aus Bosnien nicht in der Hansestadt bleiben können, erlebt die Bremer Niederlassung des katholischen Vereins mit seinen bundesweit 29 Niederlassungen, einen seltenen Ansturm. Fast 300 Beratungen führen die drei SozialpädagogInnen im Bremer Raphaelswerk pro Monat durch, obwohl sie nur auf 20-Stunden-Stellen arbeiten. Hinter jeder Beratung, die ihre Statistik erfaßt, steckt meist eine mehrköpfige Familie und hinter jeder Familie schmerzhafte Kriegs- und Fluchterfahrungen.

Auch für die BeraterInnen ist die Arbeit schmerzvoll. Den verzweifelten Flüchtlingen aus dem serbisch annektierten Kosovo beispielsweise können sie keine Hoffnung machen, in den USA oder Kanada je Zuflucht zu finden. Nur bei seltenen, ganz exponierten Fällen wie etwa bei Oppositionellen, Polizisten oder JournalistInnen schaltet sich das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen ein. Dennoch hören die BeraterInnen Angela Hesse und Cornelia Banisch jeden Tag blutige Geschichten aus dem Kosovo. Verzweifelte Ratsuchende erzählen sie ihnen ungefragt – um vielleicht doch eine Chance zu bekommen. Doch trotz wiederholter Demarchen seitens der Bundesspitze des Raphaelswerks gestatten die USA und Kanada dieser Gruppe nicht die Einreise – „anders als bosnischen Flüchtlinge, für die sich insbesondere die USA durch ihr Engagement bei Dayton verpflichtet fühlen“, sagt Banisch.

Gute Chancen, in diesem Jahr einen der 12.000 Plätze in den USA oder der 1.000 Plätze in Kanada zu ergattern, haben bosnische Flüchtlinge, die bei Kriegsausbruch im Gebiet der heutigen Republik Srpska lebten. Ebenso traumatisierte Opfer von Gewalt und Lagerhaft – und bi-ethnische Paare aus Bosnien. Schwieriger dagegen ist es für bi-ethnische Paare etwa aus Kroatien. „Obwohl die bei ihrer Rückkehr nicht sicher wären, nehmen die USA sie nicht auf“, sagt Angela Hesse. Meistens versucht sie, diese Menschen nach Kanada zu vermitteln.

„Fast alle, denen wir zu einem Einwanderungsantrag raten, schaffen es“, haben die BeraterInnen beobachtet. Doch der Erfolg stimmt sie bisweilen wehmütig. „Viele der Familien die jetzt Zusagen bekommen, wären lieber in Deutschland geblieben“, wissen sie. Die beiden Frauen kennen alle Details der Fluchtgeschichten von Familien, die sich in Bremen gerade eingelebt hatten – und doch weiter müssen in eine neue Ungewissheit. „Nicht wenige müssen alle Zelte zum dritten Mal abbrechen“, sagt Angela Hesse. Darunter viele, die sich in den 60er Jahren als Gastarbeiter in Deutschland die Zukunft vom Munde abgespart und in Ex- Jugoslawien gerade einen Alltag aufgebaut hatten als der Krieg kam.

Für sie haben die BeraterInnen trotzdem auch gute Nachrichten – die direkt an den Mythos Amerika anknüpfen: „Wer dort bereit ist, klein anzufangen, hat gute Chancen auf Arbeit und Einkommen“, sagen sie. Die handwerkliche Ausbildung, die viele Flüchtlinge mitbringen, sei dort gefragt. Das bestätigten die US-Wohlfahrtsverbände, die sich anfangs um die Neuankömmlinge kümmern.

Die beiden Bremer BeraterInnen selbst erfahren vom weiteren Verlauf der Einwanderung eher über Umwege – beispielsweise, wenn Bekannte von Ausgewanderten jetzt denselben Weg gehen wollen. „Dann hören wir auch, daß manche sich nicht getraut haben uns zu schreiben, weil sie dachten, wir hätten Wichtigeres zu tun als ihre Post zu lesen“, sagt Angela Hesse. Über ihrem Schreibtisch hängen Postkarten aus der ganzen Welt. Wenn solche Bemerkungen sie erreichen, versteht sie sie als Wertschätzung für ihre Arbeit. ede