„Eine Weltwirtschaftskrise ist nicht in Sicht“

■ Klaus-Jürgen Gern, Japanexperte beim Kieler Institut für Weltwirtschaft, über Japans Rezession

taz: Der Sony-Chef spricht davon, Japan befinde sich am Rande des ökonomischen Zusammenbruchs. Von einer drohenden Weltwirtschaftskrise ist die Rede. Halten Sie das für realistisch?

Klaus-Jürgen Gern: Japan befindet sich in einer sehr ernsten Situation. Aber ich halte es für unrealistisch, daß es zu einer weltweiten Depression wie Anfang der 30er Jahre kommen kann.

Warum?

Der Ausfall von Nachfrage aus Japan ist nicht sehr bedeutsam. Nur 2,5 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Japan. Ein deutlicher Rückgang würde hierzulande den Export allenfalls um einen Bruchteil eines Prozents treffen. Aus Sicht der USA ist eine gewisse Dämpfung des Außenhandels sogar wünschenswert, weil befüchtet wird, daß sich die US-Wirtschaft überhitzt. Wenn der Importdruck aus Japan wächst, könnte das die amerikanische Wirtschaft dämpfen und damit die Gefahr der Zinserhöhungen in den USA mindern. Das könnte sogar positiv für die Weltwirtschaft sein.

Zur Zeit wird häufig die Gefahr beschworen, daß die Japaner ihr Kapital aus den USA zurückholen und deshalb die US-Zinsen steigen. Doch für mich ist überhaupt nicht erkennbar, warum dieses Szenario eintreffen sollte, weil die Japaner am heimischen Markt keine vergleichbare Rendite erzielen können wie in den USA.

Japans Konjunkturprogramm ist mit 228 Milliarden Mark gigantisch. Kann das die Rezession verhindern?

Diese Zahl wurde genannt, um die Stimmung zu heben. Das hat aber nicht funktioniert, weil klar ist, daß diese Zahl nicht als bare Münze genommen werden kann. Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt aber, daß höchstens die Hälfte der Summe konjunkturwirksam ist, ich schätze sogar weniger. Finanziert wird das über Staatsverschuldung, so daß das Geld vermutlich später wieder eingesammelt werden muß – so wie das mit den kreditfinanzierten Ankurbelungsprogrammen von 1994 und 95 schon einmal der Fall war.

Was wäre jetzt notwendig, um vom Abgrund wegzukommen?

Im Finanzsektor und im Handel gibt es noch viel Regulierung. Hier muß es zu Umstrukturierungen kommen – zum Vorteil der übrigen Wirtschaft. Das wird mit einem unvermeidlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit im Finanzsektor verbunden sein. 1994/95 hat man nur Flickschusterei betrieben, als mit großen Ausgabenprogrammen die Wirtschaft wieder in Gang gebracht werden sollte. Das funktioniert nicht.

Damals gab ein Wachstum von 3,9 Prozent.

Das waren größtenteils Staatsausgaben für Infrastruktur und Wohnungsbau, die zunächst produktionswirksam wurden. Aber als sie zurückgefahren wurden, ging auch die Produktion zurück. Es gab außerdem eine Einkommenssteuersenkung, die aber auf drei Jahre befristet war. Maßgeblich zum jetzigen Wirtschaftseinbruch beigetragen hat, daß sie Anfang 1997 rückgängig gemacht wurde. Als Reaktion auf die Verschlechterung der Lage hat die Regierung um Weihnachten rum eine erneute Einkommensteuersenkung beschlossen, die wieder auf ein Jahr befristet ist. Das ist keine Perspektive für die Menschen, um das Geld mit vollen Händen auszugeben. Angesagt wäre eine dauerhafte Entlastung des privaten Sektors und weniger Staatsausgaben. Denn viele Projekte sind volkswirtschaftlich nicht nutzbringend. Interview: Annette Jensen