Keine Angst vor dem Genossen Gnadenlos

In Nordrhein-Westfalen setzen die Grünen mit dem designierten Ministerpräsidenten Wolfgang Clement auf einen erfolgreichen Neuanfang  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Bärbel Höhn kommt in diesen Tagen oft die Geburtsstunde der rot-grünen Koalition in Düsseldorf wieder in den Sinn. Und dann schöpft die grüne Umweltministerin angesichts der bevorstehenden Ablösung von Johannes Rau durch Wolfgang Clement neuen Mut. Denn, so erinnert sich die grüne Frontfrau nur zu gut, im Gegensatz zu den vergangenen Monaten habe Clement damals „eine ganz andere Rolle gespielt. Da war er der Motor der rot-grünen Koalition auf Seiten der SPD“. Von Clement „erwartet“ Höhn nach dessen Wahl Ende Mai deshalb, daß „er daran wieder anknüpft und den Ausgleich mit uns sucht, statt zu polarisieren“.

Daß die Hoffnungen in Erfüllung gehen, bezweifeln bei den Grünen zwar einige, aber durchfallen lassen will die Partei den an der grünen Basis ungeliebten Rau-Erben gleichwohl nicht. Selbst im Landesvorstand, der sich beim Garzweiler-Parteitag in Jüchen über die Koalitionsfrage noch tief gespalten zeigte, war man sich vor ein paar Tagen einig, daß an einer Wahl von Clement kein Weg vorbei führe. Anders sieht die Situation in der 24köpfigen Landtagsfraktion aus. Der Wortführer der linken Koalitionsgegner, Daniel Kreutz, hat schon erklärt, seine Phantasie reiche nicht aus, „um mir vorstellen zu können, daß ich Herrn Clement wähle“. Sechs bis acht weitere Abgeordnete dürften Kreutz folgen. Gefährlich werden sie nicht, denn bei geschlossener Unterstützung der SPD-Fraktion reichen Clement zur Wahl ganze drei grüne Stimmen.

Ob alle Sozis im Landtag dem ruhelosen Macher folgen werden, steht dahin. Einige könnten den geheimen Wahlgang zum Begleichen alter Rechnungen nutzen. Clements eisernes Schweigen über die künftige Ministergarde dient auch dem Ziel, bis zur Wahl keinen zusätzlichen Stoff für Frustrationen von Abgeordneten und geschaßten Ministern zu liefern.

Der breiten Zustimmung von Partei und Fraktion kann sich der Rau-Nachfolger aber gewiß sein. Dazu trägt die neue Konstruktion in der NRW-Führungsspitze bei: Neben Clement wird SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering als künftiger Landesvorsitzender die „Doppelspitze“ der Landes-Sozis bilden. Kritik am Wechselzeitpunkt hört man selbst hinter vorgehaltener Hand kaum noch. Wie der Essener SPD-Europaabgeordnete Detlev Samland, erwarten viele nun „einen zusätzlichen Schub“ für die Bundestagswahl. Samland, der voraussichtlich im Juni zum Nachfolger des mächtigen niederrheinischen SPD-Bezirksvorsitzenden Heinz Schleußer gewählt wird, ist „froh“, daß die „Hängepartie“ um die Rau-Nachfolge nun zu Ende geht. „Aus keinem einzigen Unterbezirk“ habe er „negative Reaktionen auf den Wechsel wahrgenommen“.

Wie sich die Stimmung zugunsten von Clement gewandelt hat, läßt sich nicht zuletzt an den Reaktionen seiner schärfsten parteiinternen Kritiker, den nordrhein- westfälischen Jungsozialisten, ablesen. Daß der Ministerpräsident in spe, der gerade wieder auf Lehrstellensuche durchs Land tourt, Jugendlichen, die „zumutbare Ausbildungsstellen“ nicht annehmen, öffentliche Unterstützung streichen will, ruft zwar immer noch den Protest der Jusos hervor, aber in einer ganz anderen Tonlage. Während es letztes Jahr noch hieß, die Forderung sei „unterstes Stammtisch-Niveau“, zielt sie für den Juso-Landeschef Sebastian Jobelius jetzt nur noch in die „falsche Richtung“.

Daß von Clement auch weiterhin Verstöße zu erwarten sind, die der Seelenlage großer Teile der Partei nicht entsprechen, hat er in den letzten Tagen deutlich gemacht. Mal überraschte er die Genossen mit einem Plädoyer für einen Niedriglohnsektor, dann irritierte er mit dem Wunsch nach einem niedrigeren Spitzensteuersatz. Auftritte, die einen Kontrast zu Rau markieren, der sich nie öffentlich von der Parteilinie entfernte. Man könne Clement angesichts dieser Attacken nur raten, sagte ein führender SPD-Gewerkschafter hinter vorgehaltener Hand der taz, „nicht allen gleichzeitig vor den Kopf zu hauen“.

Der Zustimmung für die SPD beim Wahlvolk tun solch forsche Auftritte aber offenbar keinen Abbruch. Im Gegenteil. Seit der Wechsel feststeht, tragen die Umfragen die SPD auch in NRW in immer neue Höhen. Zunächst signalisierte eine WDR-Umfrage für die SPD 50 Prozent, und nach der jüngsten Forsa-Erhebung legten die Sozis sogar noch einmal vier Prozent zu. Von diesem Höhenflug ist selbst Forsa-Chef Manfred Güllner „irritiert“, der lange Zeit der Meinung war, daß von den zuletzt 46 Prozent SPD-Stimmen in NRW mindestens fünf Prozent allein auf Raus Konto gingen. Jetzt scheint auch Clement als Stimmenmaximierer tauglich.

In völlige Verwirrung hat der Rau-Rückzug die NRW-CDU gestürzt. Während Oppositionschef Helmut Linssen in der Vergangenheit dem „Zauderer“ Rau immer vorgeworfen hatte, Clement nicht davor zu schützen, „von den eigenen Leuten torpediert“ zu werden, trauert CDU-Generalsekretär Herbert Reul jetzt dem „bürgernahen“ Rau nach und warnt zugleich vor dem „Genossen Gnadenlos“. Reul sieht gar zusätzliche Chancen für seine Partei, weil es doch sehr die Frage sei, „ob die Leute schnelle Veränderung und Macher wollen“.

Nun, wer Clement dieser Tage während seiner Lehrstellenbetteltour durchs Land begleitet, spürt, daß Reul seine Hoffnungen zumindestens nicht auf die Unternehmer bauen kann. „Das ist einer, von dem erwarten wir, daß er nicht nur in NRW noch viel bewegen wird“, freut sich etwa Jörn Kreke, Vorstandsvorsitzender der Douglas- Holding in Hagen, die in ihren Geschäften in Deutschland knapp 1.000 Lehrlinge ausbildet und Clement weitere 100 zusagt. Zum Abschied ruft Kreke seinem Gast zu, bloß auch als Ministerpräsident so „zu bleiben, wie Sie sind“. Das läßt ahnen, wie schwer es Reul fallen dürfte, vom „Genossen Gnadenlos“ zu profitieren.