Eier in Truhen und Bäuchen

■ Die einen kippen Tausende befruchteter Eier in den Klinikausguß, die anderen dürfen ihre Embryonen nur mit Beratung abtreiben. Eine paradoxe Welt, die lohnt, näher betrachtet zu werden. Mit dem klassischen Slogan „Mein Bauch gehört mir“ kommen wir heute nicht mehr weiter. Noch liegen Gebähren und Töten der Leibesfrucht – jenseits staatlicher Reglementierung – in der Macht der Frauen. Fällt diese Ordnung, geht das eventuell nicht nur über die Kräfte der Frauen, sondern auch über die der Gesellschaft.

Von Helke Sander

Mein Bauch gehört mir.“ Als der Spruch vor fast dreißig Jahren mit der Abtreibungskampagne aufkam, gab es keine Leihmütter und keinerlei Vorstellung darüber, Menschen klonen zu können. Es gab keine tiefgekühlten Samen-, Eier- und Embryonenbanken, jedenfalls wußten wir davon nichts. Heute lesen wir jeden Tag darüber oder sehen dazu Expertenrunden im Fernsehen, fühlen dabei vielleicht ein Unbehagen und zappen dann zum nächsten Programm.

Das gesamte technische Umfeld hat sich so stark gewandelt, daß es an der Zeit ist, die Abtreibungsdebatte neu zu führen: Ich möchte die menschlichen Eier in den Bäuchen der Frauen zusammenbringen mit denen in den Gefriertruhen der WissenschaftlerInnen.

Wahrscheinlich wissen nur wenige, daß für das Klonschaf Dolly 375 Mutterschafe notwendig waren, um das eine Experiment gelingen zu lassen. In der Versuchsperiode am Menschen müßten Tausende von Frauen gefunden werden, die sich die Eier, in die die Erbinformation gespritzt wurden, in die Gebärmutter einsetzen ließen, um möglicherweise einen Menschenklon zu erhalten. In Spanien werden gegenwärtig Leihmütter für zirka 10.000 bei 196 Grad Celsius tiefgefrorene Embryonen gesucht. Das Gesetz schreibt eine Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren vor. Danach können die Kliniken entscheiden, was sie damit machen wollen.

In Großbritannien sind 1996 rund 3.300 tiefgefrorene Embryonen vernichtet – oder soll man sagen – abgetrieben worden. In den offiziellen Abtreibungsstatistiken tauchen sie nicht auf, denn, obwohl befruchtet, diese Embryonen gehören zur Industrie und sind damit außerhalb der individuellen Sorge. In Deutschland ist zwar das Einfrieren von Embryonen verboten, doch das ist dabei ein schwacher Trost.

Wir wissen ziemlich gut, welche Torturen die Frauen erleiden, die sich künstlich befruchten lassen. Wir wissen aber relativ wenig darüber, wie groß das Geschäft mit der Leihmutterschaft inzwischen ist. Es liegt auf der Hand, daß es hauptsächlich arme Frauen sind, die die Kinder austragen, wenn die späteren Mütter dazu nicht in der Lage sind. Das Wort „Gebärmaschine“ bekommt einen völlig neuen Sinn. Wir wissen auch, daß Leihmütter schon abgetrieben haben oder sich später nicht von den Kindern trennen wollten. Wir wissen darüber hinaus, daß die Familienverbände in der Auflösung begriffen sind, daß es immer mehr Kinder-Mütter-Familien gibt, daß geschiedene oder ledige Väter ungern zahlen, daß Frauen mit Kindern auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind und die Armut weiblich ist.

Wir haben also einerseits eine weltweite Industrie, in der massenhaft Embryonen befruchtet und von irgend jemandem bestenfalls in den Ausguß gekippt oder zu Medizin verarbeitet werden, wenn sie nicht geboren werden sollen. Und – wir haben noch die altmodische Art der Empfängnis, bei der die zukünftige Mutter Objekt offizieller Bevormundung oder, wie in Irland, hoher Strafen ist, wenn sie sich entschieden hat, daß dieses zukünftige Kind für sie ein Unglück wäre.

Interessant ist nun, daß beide Teile der Debatte überhaupt nicht zusammengebracht werden. In beiden Fällen handelt es sich um Embryonen, bei Plazierung in der noch notwendigen Gebärmutter also um zukünftige Kinder. Der sogenannte „Schutz der Ungeborenen“ müßte, ginge es hier logisch und rechtlich zu, entsprechend den Abtreibungsgesetzen in den verschiedenen Ländern, auch bei den industriell gefertigten Befruchtungen von Fall zu Fall ganz individuell verhandelt werden, wobei unklar bleibt, ob das Klinikpersonal oder das Forscherteam in diesem Fall zur Fortsetzung der Schwangerschaft aufgefordert wäre oder aber doch die Eier- und Samenspenderinnen.

Es wären ja politische Verhältnisse denkbar, die plötzlich verfügen, daß alle Embryonen auch geboren werden müssen. Und, wenn die Familien fehlen, was bei der Massenfertigung über kurz oder lang ebenfalls wahrscheinlich ist, eben in Heimen zu bestimmten Zwecken aufgezogen werden.

Auffallend ist, daß die öffentliche Diskussion in der Forschung nicht weiter als bis zu den Embryonen reicht und die technischen Fortschritte beim Anwachsen in der Gebärmutter diskutiert werden sowie die noch nicht behobenen technischen Schwierigkeiten beim Klonen. Die Beiprodukte in Form Tausender nicht eingepflanzter Embryonen, also potentieller Lebewesen, werden ignoriert und sind offenbar auch nicht Objekt der weltweiten Aufmerksamkeit katholischer Bischöfe. Welches Schicksal diese Kinder haben sollen, wie sie aufwachsen sollen und bei wem, wer sie versorgen soll, wer dafür bezahlen soll, wie sie subjektiv damit fertig werden sollen, mal ein Tiefkühlpack gewesen zu sein – das sein Auftauen und Heranwachsen nicht mehr der Leidenschaft, sondern dem richtigen Ambiente im Operationssaal verdankt –, wie zukünftige Klone ihre Familienverhältnisse meistern, wenn sie sowohl Bruder wie auch Sohn ihres Vaters oder Großvaters sind, ganz zu schweigen von profaneren Problemen wie Erbschaftsregelungen: Alles ist offen und zeugt von einer unkontrollierten Wissenschaft, die nicht gelernt hat, an die Folgen ihrer Handlungen zu denken.

Zwar wird durchaus darüber gesprochen, ob Klonen ethisch gerechtfertigt ist, immer wieder wird aber auf die Vorteile hingewiesen, die das Klonen der Medizin bringen könnte, zum Beispiel zur Schaffung menschlicher Ersatzteillager. Zwar betonen Wissenschaftler, nur Ersatzorgane produzieren zu wollen. Doch vom menschlichen Ersatzorgan zum geklonten ganzen Menschen ist es nicht weit.

Es gerät völlig aus dem Blick, daß Klone neue Menschen sind, sie kommen ja als Babys auf die Welt und nicht als erwachsene, gefühllose Produkte eines Frankensteins. Auffallend ist, daß niemand von dem Kind ausgeht, sondern daß die Ausführungen über die Probleme bei der technischen Machbarkeit überwiegen. Und auffallend ist natürlich auch, daß niemand davon spricht, wie viele tausend Frauen – wahrscheinlich aus der Dritten Welt – für einen gelungenen Klon noch notwendig sind. Dies alles geschieht beziehungsweise ist in der Entwicklung, während gleichzeitig altmodisch geschwängerte Frauen sich um Beratungsscheine bemühen, während in den USA Ärzte von militanten Abtreibungsgegnern umgebracht werden und Bischöfe über die „Lizenz zum Töten“ reden.

Auf der einen Seite stehen die Frauen mit ihren Konflikten, die sich auf einen konkreten, unter bestimmten Umständen gezeugten Fötus beziehen, der ihr Leben völlig aus der Bahn zu werfen droht. Auf der anderen Seite gibt es die Befruchtungsindustrie mit Stand-by-Embryonen, die Ideologie mit Bischofsworten, Papstworten, die Veröffentlichungen der Lebensschützer und die mit diesen Fragen verbundenen verwaltungstechnischen Probleme.

In diesem Chaos sollten wir noch einmal ganz von vorne anfangen, und zwar damit, was eigentlich Abtreibung ist, jenseits der bekannten und verfestigten Positionen.

Ein großer Teil der Abtreibungsdebatte geht um die Frage, ob Abtreibung Tötung ist. Abtreibung ist ein Thema der Frauenbewegung und der Linken insgesamt. Kein Thema ist für sie die Frage, ob Abtreibung Tötung ist. Das ist ein Thema der Lebensschützer und der Rechten. Das Wort „Abtreiben“ ist ein technisches Wort und hat praktisch keinerlei emotionalen Gehalt. Den Rechten wirft man vor, immer die Debatte zu emotionalisieren. Recht haben sie damit, auch wenn man ihre Argumentation nicht teilen mag. Abtreibung ist eine verdammt emotionale Angelegenheit.

Die Machtlosigkeit unseres Geschlechts, gesellschaftliche Belange zu definieren, läßt sich genau daran ablesen, daß wir es uns offenbar bisher nicht leisten konnten, diesem Vorgang einen angemessenen Namen zu geben. Einen Namen, in dem der Schmerz über den Verlust steckt, die Trauer über die Gesellschaft, die die Frau zu diesem Schritt zwingt, die Angst vor dem Eingriff, die berechtigte Angst immerhin, weil heute noch weltweit geschätzte 500.000 bis eine Million Frauen jährlich an dem Eingriff sterben.

Wenn die Lebensschützer von Morden und Töten reden, dann sollten sie bedenken, daß für die Frauen häufig genug selbst das Leben auf dem Spiel steht. Aber immerhin drücken die Lebensschützer, Bischöfe usw. aus, daß es dabei um etwas Existentielles geht, was im bürokratischen Sprachgebrauch untergeht. Das Militär spricht statt von Töten von neutralisieren. Das ist eine ähnliche Verharmlosung, die den Zweck hat, intellektuell und emotional zu verwischen, daß es ums Töten geht. Beim Militär machen die Kirchen allerdings den Sprachgebrauch mit.

Das Wort abtreiben gibt dem Vorgang des Auslöschens eine gewisse Amtlichkeit und scheinbare Akzeptanz und verdeckt das Drama zwischen der Frau und ihrem Fötus. Ich, die ich mich immer für die Freigabe des Paragraphen 218 eingesetzt habe und dies weiterhin tue, finde, daß man die Bischöfe und Lebensschützer nicht dafür angreifen sollte, wenn sie dieses Wort töten benutzen. Dieses Wort kommt dem emotionalen Gehalt des Vorgangs näher als das Wort abtreiben.

Etwas Lebendiges wird tatsächlich vernichtet. Für die Frauen, die abtreiben, sind, das wage ich mal zu behaupten, die Debatten darüber, ab welcher Woche ein Fötus als Mensch bezeichnet werden kann und ob die Seele am 30. oder erst am 40. Tag einzieht, eine Diskussion aus dem Mittelalter, haarspalterisch. Keine Frau sagt: Ich trage einen nicht lebensfähigen Fötus in mir, der noch keine Seele hat, sondern sie sagt, unabhängig davon, ob es die zweite oder zwölfte Woche der Schwangerschaft ist: Ich erwarte ein Kind.

Dieses Wort löst eine Fülle unterschiedlichster Assoziationen aus, angenehmer wie unangenehmer, die aber eines gemeinsam haben: Sie kreisen um eine konkrete Frau und ein konkretes Kind und konkrete Lebensumstände. Eine Frau, die abtreibt, entscheidet sich tatsächlich gegen etwas Lebendiges, das vollständig von ihr abhängig ist.

In dieser Situation und nur in dieser hat die Frau wirkliche Macht. Diese Macht kann nicht von Männern erworben werden, jedenfalls nicht auf natürlichem Weg. Diese Macht soll gebrochen werden. Die Frau hat Macht, diese Abhängigkeit des Kindes von ihr zurückzuweisen, die sie ja selbst in eine für sie möglicherweise unzumutbare Abhängigkeit zwingt. Was für sie unzumutbar ist, hat sie selbst herausgefunden oder, wenn sie Glück hat, haben ihr andere dabei geholfen.

Ich muß kaum wiederholen, daß ein Kind heute jede Lebensplanung zunichte machen kann. Wenn die Frau zu dem Punkt kommt, daß sie sagt: Ich will es nicht, ich kann es nicht haben, dann hat sie sich in einer Notwehrsituation für sich und gegen das zukünftige Kind entschieden.

Anders als gern über abtreibende Frauen behauptet wird, sind Frauen im allgemeinen stolz auf ihre Gebärfähigkeit. Sie möchten sie normalerweise auch anwenden. Es nicht zu tun, ist den gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet. Jede Abtreibung ist gewissermaßen ein konkreter Hinweis auf die soziale Niederlage des weiblichen Geschlechts einerseits und auf das Versagen der übrigen Gesellschaft andererseits. Gerade weil sich Frauen das zukünftige Kind vorstellen, weil sie um das werdende Kind herumträumen, was wäre, wenn... können sie sich auch vorstellen, wie sie es zerstören.

Darum ist die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch nie leichtfertig. Die Frau, die abtreibt, kann das Kind sogar wollen, sie kann hinterher davon träumen, sie kann Traumata bekommen, aber sie wird es dennoch tun, wenn ihr eigenes Leben, für das sie auch Verantwortung trägt, mit Kind vollkommen aus der Bahn geriete. Möglicherweise zerstört sie das, was sie liebt. Sie bringt es um, sie tötet es, wobei, wie schon gesagt, das Alter des Embryos ziemlich unerheblich ist. Der einzige Konflikt der Welt, der heute noch gelöst wird wie in Urzeiten, ist der einer zum Abbruch entschlossenen Frau: Sie entscheidet zwischen zwei gleichwertigen Rechten, und es geht immer um Leben und Tod.

Dies alles geschieht bei der gleichzeitigen Existenz einer globalen Befruchtungsindustrie, deren in den Tiefkühlfächern lagernden Embryonen nie eine persönliche Aufmerksamkeit zuteil wird. Die abtreibenden Frauen vernichten tatsächlich Leben. Warum ein anderes Wort dafür suchen und den Vorgang verharmlosen?

Das ist oft die einzige Entscheidung, die sie haben. Eine Entscheidung aus Notwehr. Sie töten einen Embryo, der nur ihnen und nicht anderen schadet, und wenn sie dies tun, leiden sie selbst, nicht nur seelisch, sondern körperlich, und oft sterben sie daran. Ich beschreibe das so drastisch, um zu zeigen, daß das Dilemma, in dem sich die Frauen befinden, nicht lösbar ist. Es ist im klassischen Sinn tragisch, und zwar im Sinn der griechischen Tragödie.

Denn wie auch immer Antigone, hier die Frau, sich entscheidet, und sie muß sich auf jeden Fall entscheiden und für ihre Entscheidung die Verantwortung tragen, sie macht sich schuldig – sich selbst gegenüber oder dem ungeborenen Kind gegenüber. Der sogenannte Beratungsschein ändert diesen Konflikt für die Frau überhaupt nicht. Der Beratungsschein ist das Mittel staatlicher und im besonderen hier auch männlicher Gewalt, um auszudrücken, daß diese staatliche und männliche Gewalt nicht akzeptiert wird, daß Frauen in der Lage sind, eine autonome Entscheidung zu treffen, von der qua Definition Männer ausgeschlossen sind.

In dieser Entscheidung einer Frau gegen die Schwangerschaft liegt ihre eigene persönliche Macht, jenseits staatlicher Akzeptanz. Ihre Entscheidung entzieht sich öffentlicher Kontrolle, und der Beratungsschein soll sie dieser Kontrolle unterwerfen. Dieser disziplinarische Aspekt wird ganz deutlich, wenn man bedenkt, daß es bei der Befruchtungs- und Klonindustrie, bei der Embryonen in großer Zahl verbraucht werden, solche Scheine und solche Gewissensentscheidungen für jeden einzelnen Embryo nicht gibt. Die Ausübung dieser den Frauen eigenen Macht bedeutet für sie selbst immer auch die Wahl zwischen unvereinbaren Alternativen.

Der Konflikt wird nicht etwa leichter für die Frau, wenn sie weiß, daß ihr Kind behindert ist oder möglicherweise auf eine Vergewaltigung zurückzuführen ist – Ursachen, die staatlicherseits zum Abbruch berechtigen, obwohl auch hier wieder die Unlogik durchschlägt, denn wenn Abtreiben mit Töten gleichgesetzt wird, dürfte auch kein behindertes oder aus einer Vergewaltigung entstandenes Kind abgetrieben werden. Und genau aus diesem Grund entscheiden sich viele Frauen in solchen Fällen gegen eine Abtreibung, obwohl sie der Staat erlauben würde.

Fazit ist, daß die neuen Entwicklungen mit bisher grundsätzlichen Selbstverständlichkeiten brechen. Wenn man aus der für selbstverständlich gehaltenen Naturordnung ausbricht und Frauen nicht mehr zum Gebären braucht, geht das eventuell über unsere Kräfte – als Frau und als Gesellschaft. Man muß sich fragen, ob Frauen denn ihre Gebärfähigkeit an die Wissenschaft abtreten wollen. Wir müssen jedenfalls wissen, was auf uns zukommt und sollten versuchen, unsere Gefühlslage zu beschreiben.

Was zur Zeit geschieht, stellt alles auf den Kopf, was wir je für möglich gehalten hätten. Solange es Menschen gibt, Millionen von Jahre, haben Frauen die Kinder geboren. Die neue soziale Benachteiligung durch das Kinderkriegen ging einher mit dem Verlust der Definitionsmacht von Frauen über den Gang der Gesellschaft. Es geht darum, sie zurückzugewinnen. Und das sind keine Frauenbelange, sondern das ist ein Menschheitsproblem.

Helke Sander ist Filmemacherin, Autorin und Hochschullehrerin. Der Artikel ist eine von der taz gekürzte und leicht überarbeitete Fassung eines Vortrags, den die Autorin am 7. Februar 1998 in der Evangelischen Akademie in Bad Boll hielt.