Kein Geld, kein Personal, viel Auto

Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) will den Fahrradverkehr bis zum Jahr 2.000 verdoppeln, fördert vor allem jedoch den Kraftfahrzeugverkehr. Einen Fahrradbeauftragten gibt es seit Dezember nicht mehr  ■ Von Volker Wartmann

In der Berliner Fahrradverkehrspolitik herrscht Stillstand. „Geplant und aufgeschrieben wird in der Senatsverkehrsverwaltung viel. Dann passiert aber nichts mehr“, sagt Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. So existiert beispielsweise das 1994 vom Senat beschlossene Veloroutennetz mit einem Kostenumfang von 250 Millionen Mark weiterhin nur auf dem Papier. „Wenn sich die Velorouten nicht selber bauen, dann baut sie keiner“, so Cramer.

„Neue Fahrradwege werden in Berlin nur beim Um- oder Neubau von Straßen gebaut“, sagt Dieter Saatweber, Sachbearbeiter im Referat Kommunale Straßenplanung. „Weitere Manahmen scheitern am fehlenden Geld.“

Der Radverkehrsanteil in Berlin beträgt nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad- Clubs Landesverband Berlin e.V. (ADFC) etwa sechs Prozent, im Bundesdurchschnitt sind es immerhin rund zehn Prozent. Etwa 5,5 Milliarden Mark umfaßt der Jahresetat der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr. Keine einzige Mark davon ist explizit für den Fahrradverkehr vorgesehen. „Für eine politisch gewollte Förderung des Fahrradverkehrs ist ein spezieller Etat notwendig. Wir fordern pro Einwohner und Jahr 50 Mark, um die Radverkehrspolitik wirkungsvoll anzuschieben“, sagt Benno Koch, Pressesprecher des ADFC. „Verkehrssenator Jürgen Klemann wiederholt ständig vor der Presse, den Anteil des Radverkehrs bis zum Jahr 2.000 verdoppeln zu wollen. Bisher sind das nur reine Lippenbekenntnisse.“ Nach Erfahrungen des ADFC nimmt die Anzahl der Radfahrer immer dann merklich zu, wenn radfahrerfreundliche Manahmen getroffen werden. „Seit Einführung der Umweltspur hat sich der Fahrradverkehr in der Straße Unter den Linden verdoppelt“, erläutert Koch. 2,5 Millionen Fahrräder gäbe es in Berlin, aber nur etwa halb soviel Autos. „Die Menschen sind bereit, mehr Fahrrad zu fahren, man muß ihnen nur die richtigen verkehrpolitischen Angebote machen“, sagt Koch.

Jede zweite Fahrt in Berlin beträgt weniger als fünf Kilometer, das Fahrrad ist bei einer Entfernung bis sieben Kilometer normalerweise das schnellste Verkehrsmittel. „Im Fahrradverkehr steckt ein enormes Entwicklungspotential“, so Grünen-Sprecher Cramer. „Eine Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur beträgt nur einen Bruchteil der Kosten, die der umwelt- und menschenfeindliche Autoverkehr benötigt.“

Nach Angaben des ADFC wurde die Planung von Radverkehrsanlagen in Berlin Ende letzten Jahres gänzlich eingestellt. Der einzige für diesen Bereich zuständige Mitarbeiter in der Senatsverkehrsverwaltung wurde Anfang Dezember 1997 nach mehr als vierjähriger Tätigkeit hausintern in die Informations- und Koordinationsstelle des Referats Straßenverkehr umgesetzt, ohne die Stelle neu zu besetzen.

Das Umweltbundesamt forderte schon 1987 für die Radverkehrsplanung 2,5 Mitarbeiterstellen je 100.000 Bewohner einzurichten, auch aufgrund des großen Nachholbedarfs in Deutschland.

In Berlin werden die Interessen der Fahrradfahrer bei neuen Verkehrsprojekten häufig einfach ignoriert. Ein Beispiel hierfür ist der Große Stern. Am 13. Dezember letzten Jahres nahm Verkehrssenator Klemann hier eine neue, computergesteuerte Ampelanlage in Betrieb. 56 Induktionsschleifen wurden in die Fahrbahn verlegt, damit der Autoverkehr besser fließen kann. Radfahrer und Fußgänger indes bekommen nur noch auf Anforderung durch einen Druckknopf Grün. „Innerhalb weniger Sekunden ist man mit dem Auto bei grüner Welle einmal um die Goldelse gefahren“, sagt Benno Koch. Radfahrer müssen wesentlich mehr Geduld aufbringen. „Nach dem Knopfdruck muß man teilweise über zwei Minuten warten, bis die Fahrradampel auf Grün umspringt.“ Für eine Umrundung des Großen Sterns kann man mindestens sechs Minuten einrechnen, wenn man sich an die Verkehrsregeln hält. Ein Leser des ADFC- Magazins Radzeit berichtet sogar von einer knappen Viertelstunde, die er bei verkehrskorrektem Verhalten zur Umrundung der Goldelse benötigte. „Bei einer solchen Verkehrspolitik braucht sich niemand zu wundern, daß viele Radfahrer rote Ampeln ignorieren“, so Koch. „Wenn sich ein Verkehrsteilnehmer gegenüber den anderen benachteiligt fühlt, sinkt seine Akzeptanz gegenüber den Verkehrsregeln.“

Nach seiner Öffnung für den Autoverkehr konnte das Brandenburger Tor von Radfahrern legal nicht mehr in Richtung Osten durchfahren werden. Täglich etwa 4.000 Radler fahren nach Angaben des ADFC täglich in West-Ost- Richtung durch das Brandenburger Tor. Insbesondere Studenten der Technischen Universität und der Humboldt-Universität nutzen diese Verbindung auf dem Weg zur Hochschule. Der ADFC forderte die Wiederherstellung der Durchfahrbarkeit des Brandenburger Tores in beide Richtungen. „Diese soll durch farblich auf der Fahrbahn markierte, mindestens 1,50 Meter breite Radfahrstreifen erfolgen“, so Koch. Der ADFC stellte Verkehrssenator Klemann ein Ultimatum bis zum 14. März, 15 Uhr. Klemann ließ die gesetzte Frist tatenlos verstreichen. Rund 40 Fahrradaktivisten blockierten daraufhin am gleichen Tag die Durchfahrt durch das Wahrzeichen für etwa zehn Minuten. Die Aktion zeigte Wirkung. Inzwischen ist das Brandenburger Tor wieder legal durchfahrbar. ADFC- Pressesprecher Koch: „Diese Aktion wird nicht die letzte gewesen sein. Für die nächste Zukunft sind weitere geplant, unter anderen am Großen Stern.“