Der Tod eines Advokaten

Tips aus sogenannten vertraulichen Quellen zählen für Journalisten zu den unverzichtbaren Mitteln der Recherche. Allerdings hat die Zusammenarbeit mit Informanten, die namentlich nicht bekannt werden möchten, auch ihre bedenklichen Seiten. Über den Umgang mit zwielichtigen Gestalten, auf die man dennoch angewiesen ist: Erfahrungen  ■ von Werner Raith

Rechtsanwalt Vincenzo Mosa ist tot. Sein Mörder erwartete ihn hinter der Hecke zum Nachbargarten, als der 42jährige seine beiden Schäferhunde abends aus seinem Sommerhaus in Sabaudia südlich von Rom abholen wollte. Mosa wurde, so der Eindruck eines Ermittlers, regelrecht „erlegt“ – die Tatwaffe war, der Munition nach zu schließen, eine Jagdflinte, von der Art, mit der man auf Wildschweine schießt.

Der Fall, der die Kleinstadt Terracina – Mosas Arbeits- und Wohnort auf halbem Weg zwischen Rom und Neapel – seit Wochen in Atem hält, hat unzählige Spekulationen ausgelöst: War es ein Akt der Eifersucht – Mosa galt als Schürzenjäger und hat in einigen Gedichten die „freie Liebe“ propagiert, was im Süden Italiens noch gar nicht gern gesehen ist. Oder war es ein verärgerter Klient – Tage zuvor soll Mosa einen bösen Streit in seiner Anwaltspraxis mit einem Kunden ausgefochten haben. Waren Wirtschaftsinteressen im Spiel? Mosa und seine Frau hatten an der seit einigen Jahren zum Nobelerholungsgebiet gewordenen Küste zwischen dem römischen Seebad Ostia und dem Kap Circeo eine Reihe von Bauspekulationen durchgeführt. Oder war es gar die organisierte Kriminalität – Mosa hatte durch einige Anzeigen Mafiosi in Kalabrien zur Strecke gebracht, mehr als vierzig Personen wurden eingesperrt. Vor einem Jahr hatte er einen Waffenschein beantragt (der ihm verweigert wurde), an Weihnachten 1997 einen Freund gebeten, für seine Familie zu sorgen, falls ihm etwas passieren sollte.

Der taz-Leserschaft sagt der Name Mosa erst mal nichts. Und doch verdankt die Zeitung ihm eine lange Reihe von Informationen – von jener Sorte, ohne die die Berichterstattung über Mafia, Camorra, Ndrangheta und Sacra Corona Unitá nicht möglich wäre. Mosa, dessen Familie aus Kalabrien stammte, konnte fast immer Hinweise geben, wenn es darauf ankam, Verbrechen richtig einzuordnen, Entwicklungen zu werten, scheinbar unabhängig voneinander arbeitende Gruppen als miteinander verbandelt auszuweisen. Die taz verdankt ihm unter anderem Material über die Petersburg-Connection der kalabresischen Mafia (die hatte damals zwei Milliarden Dollar für den Kauf einer Bank bereitgestellt), über den Menschenhandel aus den Ostblockstaaten, über die Immigranten-Anlandungen, über die Rolle von Frauen bei der Blutrache.

Persönlich standen wir einander eher fern – schon unserer unterschiedlichen politischen Kultur wegen: Mosa war der Sproß einer ausgewiesen faschistischen Familie, in seiner Kanzlei waren die Wände mit Mussolini-Bildern und Titelseiten von Zeitungen aus der „glorreichen“ Zeit des Duce tapeziert. Er selbst war seit seiner Jugend in der neofaschistischen Partei MSI aktiv, und als diese 1995 aufgelöst und in die moderate „Nationale Allianz“ übergeführt wurde, wurde Mosa zum Mitbegründer der „Fiamma tricolore“, die seither den äußersten rechten Rand des politischen Spektrums besetzt. Bei den Kommunalwahlen 1997 bewarb er sich, erfolglos, um das Amt des Bürgermeisters von Terracina.

Obwohl also an der anderen Seite des politischen Spektrums angesiedelt, hat Mosa immer wieder auch meine Achtung errungen. So hob er zusammen mit einem knappen Dutzend beherzter Kämpen den „Verein zur Rehabilitierung von Opfern des Wuchers“ aus der Taufe und wurde dessen Syndicus. Er vertrat Menschen und Firmen, die in Not und danach in die Fänge illegaler Geldverleiher geraten waren und dann plötzlich Zinsen in Höhe von 100 oder gar 200 Prozent monatlich (!) bezahlen sollten – ansonsten drohte Abfackelung der Wohnung, ein Schuß ins Bein oder die Vergewaltigung der Frau oder Tochter. Viele dieser Menschen hat er unentgeltlich verteidigt. Zu seiner Beerdigung kamen dankbare Frauen und Männer aus ganz Italien – manche mit Polizeieskorte, weil sie noch immer unter Todesdrohung leben.

Auf der anderen Seite vertrat er aber auch ausgerechnet jenen ehemaligen Bürgermeister von Terracina, dem Wucher vorgeworfen wurde. Sein gutes Herz für Opfer kompensierte er durch gnadenlos hartes Durchgreifen, wo er die Möglichkeit sah, Geld einzutreiben. „Ein Mastino“, sagten manche über ihn, ein Kampfhund. Jedenfalls ein höchst schillernder Typ also, dieser Anwalt. Als authentische Quelle jedoch unverzichtbar; wer einigermaßen sicheres Insiderwissen braucht, muß sich gerade mit solchen Personen einlassen. Das ist nicht immer einfach, im Gegenteil. Wenn der Informant dann unter Druck gerät oder gar, wie hier, umgebracht wird, bekomme natürlich auch ich weiche Knie. Weniger aus Angst, auch mal eins übergebraten zu bekommen (es ist höchst unwahrscheinlich, daß kriminelle Organisationen einen Auslandsreporter ermorden – sie würden sich die gesamte Meute der internationalen Presse auf den Hals ziehen, und die ist oft zäher als die Polizei). Sondern weil ich mich fragen muß, ob ihn etwa auch meine Neugier in Situationen hineinmanövriert hat, die dann gefährlich für ihn wurden. Und weil solche Menschen irgendwann fast so etwas wie ein kleines Stück von einem selbst werden: Wenn man schnell etwas wissen will, sind sie für einen da, sie korrigieren einen, eröffnen weitere Perspektiven. Und nun liegen sie irgendwo in einer Blutlache, und was bleibt, ist die Erinnerung an die letzte, oft nur flüchtige, gehetzte Begegnung.

So war das auch im Fall des Pedro Romeo, dem Wirt des „Ficodindia“ in Palermo. Ein Mann wie für Mafia- Filme gecastet: gebräuntes Gesicht, düstere, mitunter drohende Augen, hohe Stirn mit einer dominierenden V-förmigen Falte hin zur Nasenwurzel, fast eine Art Kainsmal. Pedro hatte seit jeher mit seinem Pokerface kokettiert – in einigen Gangsterfilmen übernahm er tatsächlich die Rolle des Bösewichts; Francesco Rosi und Damiano Damiani haben ihn in ihren Streifen beschäftigt.

Ihn hatte ich im Zuge einer Dokumentation für das deutsche Fernsehen über die Realität von Mafiafilmen kennengelernt. Pedro hatte uns am Ruhetag in seiner rustikalen Trattoria in der Via Emerico Amari empfangen und relativ frei über den Einfluß der Mafia auf das palermitanische Alltagsleben gesprochen, auch seine Meinung über die Mystifizierung der „Ehrenwerten Gesellschaft“ in den Medien kundgetan. Pedro verdankte die taz schon 1990 die Voraussage zunehmender wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Cosa Nostra durch den staatlichen Druck, das Anschwellen der Zahl von Mafia-Aussteigern auf weit über tausend (damals waren es gerade mal acht) – und auf die Gegenmaßnahmen der großen Bosse: „Die werden sich bald nicht mehr nur die Überläufer vornehmen“, prophezeite er, „sondern auch diejenigen, die zum Ausstieg überredet wurden. Und sie werden vor niemandem halt machen.“

Er behielt recht: Anfang der neunziger Jahre kam es zu den großen Attentaten auf die wichtigsten Ermittler, deren Höhepunkt 1992 die Ermordung der Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino war. Doch die Killer kamen auch zu Pedro: Sein Mörder schlich sich ins Haus, als Pedro gerade die Eröffnungspartie der Fußballweltmeisterschaft im Fernsehen anguckte, und erledigte ihn mit einem Schuß in den Nacken. „Don Pedro redete zuviel“, mutmaßte die Abendzeitung L'Ora; „und da er zuviel über alle wußte und in manchem auch seine Finger drinhatte, war er gefährlich geworden.“

Die letzten Hinweise, die er mir gegeben hatte, bezogen sich auf die neue politische Ausrichtung der Mafia: Nachdem sich die von den Bossen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre bevorzugte Sozialistische Partei nicht mehr als so durchsetzungskräftig erwies, wollten sich die Mafiosi zunächst wieder den Christdemokraten zuwenden – oder aber die Bildung einer neuen Formation begünstigen. Eine damals noch völlig unglaubhaft erscheinende Voraussage – die jedoch schon ein paar Jahre später mit der Förderung der von Silvio Berlusconi gegründeten „Forza Italia“ Wirklichkeit wurde.

Dies sind in der Tat zwei extreme Fälle vom „Abgang“ wichtiger Informanten. Dennoch enden auch manch andere Beziehungen zu Informanten abrupt. Ein Elektrohändler in Palermo, den ich seit vielen Jahren kannte und der mir immer mal wieder die Interna seines Viertels Kalsa – in dem er offenbar als Boß der mittleren Ebene galt – zugänglich gemacht hatte, stellte jeglichen Kontakt mit mir ein, als einer seiner Neffen mich zufällig in Palermo mit einigen Beamten des Bayerischen Landeskriminalamts sah (obwohl diese eigentlich unerkannt dort sein sollten). Ein anderer Informant, der nach seinem Ausstieg aus der Mafiabande sechs seiner acht Jahre Gefängnis erlassen bekommen hatte, lebte im Rahmen des Zeugenschutzgesetzes nicht weit von uns in Terracina und kam mit seiner Verlobten des öfteren in den kleinen Reitstall meiner Frau; ihm verdankte ich eine Reihe von Hinweisen über das Leben von Mafiaaussteigern, die sich in diversen Reportagen über die „Kronzeugen“ und das Leid ihrer Familien niederschlugen. Doch dann wurde Marco N. unvermittelt verhaftet: Er hatte – die Katze läßt das Mausen nicht – einen Schutzgeldring aufzubauen versucht, sich aber so stümperhaft angestellt, daß die Bande beim ersten Einkassieren erwischt wurde. Umgerechnet 10.000 Mark hatte Marco erpressen wollen – dabei hatten ihm die Behörden 70.000 Mark für eine eigene Existenzgründung unter neuem Namen angeboten, wenn er dafür das teure Zeugenschutzprogramm verlassen würde. Zweifel an der sonst so hochgelobten Intelligenz und Umsicht mafioser Brüder sind also erlaubt.

Natürlich beschleichen einen angesichts solcher Vorfälle Skepsis und Unglauben gegenüber dem, was diese Leute an Informationen bieten. Zwei Belege unabhängig von der vertraulichen Quelle soll der gewissenhafte Journalist nach der üblichen Faustregel einholen, bevor er eine Information veröffentlicht. Bei Hinweisen aus dem mafiosen Untergrund gegenüber tun wir gut daran, sie oft nicht einmal nach fünf Gegenchecks zu publizieren.

Der ermordete Anwalt Vincenzo Mosa war sowohl eine Informationsquelle wie ein Anlaufpunkt zum Gegencheck. Und so wird er nun nicht nur meiner Arbeit, sondern auch der taz und ihren Lesern, die bisher nichts von ihm wußten, stark fehlen.