Aids-Experten diskutierten diese Woche auf einer dreitägigen Konferenz in Genf über die Konsequenzen eines umstrittenen, aber erfolgreichen Tests an schwangeren Frauen in Thailand. Ergebnis der thailändisch-amerikanischen Studie: Die Übertragungsquote des Aids-Virus von infizierten Müttern auf ihre Babys kann durch eine kostengünstige Therapievariante um die Hälfte verringert werden. Zentrale Frage: Kann die neue Kurzzeit-Therapie, die nur ein Zehntel des Normalpreises kostet, die HIV-Epidemie unter eugeborenen stoppen? Und wie kann sie in den ärmeren Ländern dieser Welt eingesetzt werden? Von Manfred Kriener

Hoffnung für die Babys

An jedem Tag kommen weltweit 1.600 Kinder auf die Welt, die sich im Bauch der Mutter oder während der Geburt mit dem Aids-Virus HIV angesteckt haben – ein halbe Million HIV- Babys im Jahr. Die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb der ersten zwei Jahre. Seit dem Ausbruch der Krankheit sind etwa drei Millionen Kinder an Aids gestorben. Das Massensterben der jüngsten Aids- Opfer könnte aber gestoppt oder zumindest eingedämmt werden. Denn jetzt steht eine neue billige und wirksame Therapie-Variante zur Verfügung.

„Es geht nicht mehr um die Frage, ob wir es tun oder wann wir es tun, sondern nur noch darum, wie wir es anpacken“, sagte UN- Direktor Peter Piot am Mittwoch in Genf, wo eine dreitägige internationale Konferenz zum Thema „HIV-Übertragung auf Kinder“ zu Ende ging. Piot forderte dazu auf, dem Kampf gegen die HIV-Ansteckung der Kinder „weltweit Priorität“ einzuräumen. „Wir brauchen Soforthilfe, jede Verzögerung führt nur zur Verschlimmerung.“

Anlaß für den Appell an die Weltgemeinschaft ist eine thailändisch-amerikanische Studie, die neue Hoffnung verspricht. Wissenschaftler reden von einem „Meilenstein“ und „wichtigen Schritt nach vorn“. Ergebnis der Studie: Die Übertragung des Aids-Virus von infizierten Müttern auf ihre Babys kann durch eine kostengünstige Kurzzeit-Therapie um die Hälfte verringert werden. Jede zweite Ansteckung wäre damit zu verhindern.

Bei 393 schwangeren HIV-infizierten Frauen aus Thailand ist die Billigvariante der Aids-Verhütung getestet worden. Die Frauen hatten statt der in den reichen Ländern üblichen dreimonatigen Einnahme des bekannten Aidsmedikaments und Virenkillers AZT erst ab der 36. Schwangerschaftswoche eine Therapie bekommen. Das Medikament war zudem oral und nicht intravenös verabreicht worden, um das Handling zu erleichtern.

Um die Kosten noch stärker zu senken, war nach der Geburt auf jede weitere Therapie verzichtet worden. In Deutschland bekommen die Babys noch einige Wochen lang AZT. Das Ergebnis der Thai-Studie ist trotz des Sparkurses ermutigend. Die Ansteckungsrate konnte um 51 Prozent gesenkt werden. Zum Vergleich: In den Industrieländern wird durch den dreimonatigen Einsatz von AZT mit nachgeburtlicher Fortsetzung die Ansteckungsrate um etwa 70 Prozent verringert, in der Bundesrepublik zu über 90 Prozent.

Entscheidend sind die erheblich reduzierten Kosten. Während die Standardmedikation in den USA pro Frau und Kind 800 Dollar kostet, kommt die Kurzzeitvariante mit einem Zehntel aus, ein Preis, den sich ein Schwellenland wie Thailand, viele lateinamerikanische Länder und womöglich auch einige Entwicklungsländer leisten können. AZT-Hersteller „Glaxo- Wellcome“ hat zudem versprochen, die Preise für die Entwicklungsländer deutlich zu senken. Eine Monatspackung kostet in Deutschland derzeit 780 Mark.

Bisher hatten schwangere Frauen in Thailand – und in vielen anderen Ländern – keine antiviralen Mittel bekommen. Die HIV- Ansteckungsquote lag verschiedenen Untersuchungen zufolge bei 20 bis 40 Prozent. In den letzten Jahren kamen in Thailand im Schnitt pro Jahr mehr als fünftausend Kinder mit HIV auf die Welt. Tendenz: weiter steigend.

Die jetzt ausgewertete Studie, die gemeinsam von der US-Gesundheitsbehörde „Center for Desease Control“ (CDC) und dem thailändischen Gesundheitsministerium durchgeführt wurde, hat trotz des erzielten Erfolgs massive Kritik provoziert. Die Vorwürfe richten sich weniger gegen die Billigvariante der Therapieform, die die Mauer zwischen Arm und Reich zwar weiter zementiert, aber am Machbaren orientiert ist. Sehr viel größere Empörung hat die Methodik der Studie ausgelöst.

Die Untersuchung wurde im sogenannten Doppelblindverfahren mit Placebo-Einsatz durchgeführt. Die Frauen wurden im Losverfahren eingeteilt, wobei ein Teil die echte Kurzzeit-Therapie mit AZT bekam, die andere nur ein Scheinmedikament. Als Konsequenz haben sich in der Placebo- Gruppe 18 Prozent der Kinder angesteckt, in der AZT-Gruppe nur 9 Prozent. Auf diese Weise hat die CDC zwar saubere wissenschaftliche Daten erhalten, sie nahm aber in Kauf, daß sich viele Kinder aus der Placebo-Gruppe mit der tödlichen Krankheit infizierten. Ähnliche, noch nicht ausgewertete Studien wurden in mehreren afrikanischen Ländern und in der Karibik durchgeführt, ebenfalls mit Placebo.

Die Studie, sagen Kritiker, wäre genauso aussagekräftig geblieben, hätte die Vergleichsgruppe statt Placebo den westlichen Therapie- Standard erhalten. Die Ansteckungsquote bei einer Null-Therapie sei zudem aus früheren Untersuchungen bekannt gewesen. Für Peter King von Hoffmann-LaRoche widerspricht die Studie „allen ethischen Grundsätzen“. In einem reichen Land würde sich niemand trauen, HIV-infizierten Frauen ein Placebo zu geben. Der US-amerikanische Arzt Sidney Wolfe, Präsident der Forschungsgruppe „Public Citizen Health Research“, sprach vom „schlimmsten und unethischsten Experiment seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“. Die CDC, aber auch Experten von UN-Aids, dem UNO- Headquarter im weltweiten Kampf gegen Aids, verteidigten die Methode (siehe Interview auf dieser Seite). Ihr Triumph: Die Ergebnisse sind so erfreulich, daß die Umstände der Untersuchung in den Hintergrund treten.

Auf der Genfer Konferenz diskutierten Wissenschaftler, Geldgeber, Vertreter von Pharmafirmen und Gesundheitspolitiker denn auch vor allem über die Umsetzung, also über die Möglichkeiten des Medikamenteneinsatzes in den Entwicklungsländern. Neben den finanziellen Schwierigkeiten gibt es weitere gravierende Probleme: Wie kann man sicherstellen, daß schwangere Frauen rechtzeitig auf HIV getestet werden, um den Einsatz der Medikamente zum richtigen Zeitpunkt zu starten? In vielen Ländern werden selbst Schwangere oft nicht getestet, weil die Tests entweder nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen oder weil ein positives Ergebnis ohnehin keine therapeutischen Konsequenzen hätte. Das zweite, noch gravierendere Problem: Wie kann verhindert werden, daß durch das Stillen der Kinder das Virus nachträglich doch noch übertragen wird?

UN-Direktor Piot machte klar, daß es mehr braucht als nur die Virenkiller von Glaxo-Wellcome. Besonders dringlich würden HIV- Tests, Babynahrung, aber auch eine verbesserte medizinische Infrastruktur benötigt. Das alles erfordert erhebliche finanzielle Mittel. Damit gilt die alte Weisheit: Die beste Arznei gegen Aids ist Geld, viel Geld.