Besser als Botho Strauß

Horkheimer und Adorno war Donald Duck noch suspekt – doch in der wissenschaftlich-literarischen Rezeption dominiert die Sympathie. Niemand aber nimmt die Ente so ernst wie die Donaldisten: In Troisdorf feiern sie jetzt 20 Jahre Entenhausen-Forschung  ■ Von Marc Degens

Die amerikaerfahrenen Sozialphilosophen der Frankfurter Schule erblickten in Donald Duck noch ein Symbol der Massenkultur, welche die Herrschaft von Menschen über Menschen stützte: „Donald Duck in den Cartoons wie die Unglücklichen in der Realität erhalten ihre Prügel, damit der Zuschauer sich an die eigenen gewöhnen kann“, so Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1944 in der „Dialektik der Aufklärung“.

Trotz dieses vernichtenden Fundamentalurteils bekennen sich seit Anfang der sechziger Jahre westliche Kulturschaffende fortwährend zu ihren trivialen Vorlieben, den sozialisatorischen Wurzeln ihrer Generation, wobei sich das Augenmerk auffallend häufig auf eine Figur und ihr Milieu richtet: Donald Duck. Für H.C. Artmann war er „der einzige mensch, der es heutzutage noch versteht, ordentlich die welt zu besehen“. Drum ließ ihn der letztjährige Büchner-Preisträger bereits 1964 leibhaftig in seiner dramatischen Skizze „Schnee auf dem Gustav Adolfsplatz in Malmö“ auftreten.

Viele Autoren, von Günter Grass über Robert Schindel bis hin zu Peter Handke und Marlene Streeruwitz, haben es ihm gleichgetan und verewigen die Duck- Sippe seit mehr als drei Jahrzehnten in Gedichten, Erzählungen und Theaterstücken, denn „sich an Nietzsche und all die anderen Edelpupser ranzuschmeißen, das ist kein Spaß, aber Donald Duck ist ein Spaß, wenn er Wumm Peng Knirsch macht“ (George Tabori, „Jubiläum“). Die Grenzen zwischen legitimem, mittlerem und populärem Geschmack sind seither kontinuierlich aufgeweicht – zumindest von oben nach unten. Hans Magnus Enzensberger bescheinigt dem etablierten Kulturbetrieb mittlerweile sogar die „Indifferenz eines pluralistischen Marktes, dem der Unterschied zwischen Dante und Donald Duck Jacke wie Hose ist“ (in „Mittelmaß und Wahn“).

Postatomare Zukunft oder Parallelwelt

Dabei haben insbesondere die von Carl Barks gezeichneten und von Dr. Erika Fuchs ins Deutsche übersetzten Donald-Duck-Geschichten, die unbestritten zu den prachtvollsten Erzeugnissen des Comic-Genres zählen, mehr als nur „Spaß“ zu bieten, denn dort – wie die Lehrerin Franziska in Peter Handkes Erzählung „Die linkshändige Frau“ zu berichten weiß – erfahren „Kinder an diesem immer zu kurz kommenden Tier mehr über die Daseins-Formen, als sie in der gutsituierten Haus- und Grundbesitzerlandschaft hier sonst jemals mitkriegen werden, wo das Leben nur darin besteht, das Fernsehen nachzuspielen“. Zudem haben die Duck-Comics sicherlich nicht nur Max Goldts Sprachgefühl „nachhaltiger und positiver beeindruckt als alle Schullektüre“. Weshalb der Buchneid, den manche Literaten wie Rainald Goetz beim Betrachten dieser Comic-Hefte entwickeln, durchaus nachvollziehbar wird.

Aber nicht nur Schriftsteller und bildende Künstler beschäftigen sich mit dem Entenclan, auch die Wissenschaft hat ein einträgliches, neues Betätigungsfeld gefunden. So unterzog der Semiotikprofessor Umberto Eco in seinem Buch „Apokalyptiker und Integrierte“ das Comic-Genre ganz allgemein einer kritischen Kritik, während Ariel Dorfman und David Kunzle, unabhängig voneinander, durch detailierte Studien einzelner Donald-Duck-Episoden zu umfassenden Imperialismus- und Kapitalismusanalysen gelangten. Hierzulande versehen Autoren wie Michael Rutschky und Klaus Theweleit ihre soziologischen und philosophischen Erkenntnisse gern mit Anleihen aus dem Entenhausener Kosmos, was ein Beleg für den „utopischen Naturalismus“ (Paul Anton Bangen) dieser Geschichten ist. Doch keine Forschergruppe nimmt die Enten so ernst wie die Mitglieder der „Deutschen Organisation nicht-kommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus“, kurz: D.O.N.A.L.D.

Dadaistische Debatten auf hohem Niveau

Den ersten Ansatz zur (pseudo-)wissenschaftlichen Erforschung der Entenfamilie lieferte 1970 das Buch „Die Ducks. Psychogramm einer Sippe“ des Autorenkollektivs Grobian Gans, das diverse Disney-Charaktere vorstellte, um dann im Stil der Regenbogenpresse über ihre Gewohnheiten, Vorlieben und Geheimnisse zu spekulieren. Ein harmloses Vergnügen, das zu solch skandalösen Vermutungen führte wie, daß Gustav Gans homosexuell oder der Landarbeiter Franz Gans der Liebhaber von Oma Duck sei. Doch mit der reinen Forschung, wie sie die Donaldisten seit mehr als 20 Jahren betreiben, haben derartige Spekulationen wenig gemein. Unter den weltweit über 500 Mitgliedern herrscht eine Schriftgläubigkeit vor, die man allenfalls mit der der Zeugen Jehovas vergleichen kann. Die Mehrzahl der Donaldisten geht so ernsthaft davon aus, daß Entenhausen existiert – entweder in der postatomaren Zukunft oder in einer Parallelwelt, die Wissenschaftler sind sich in diesem Punkt freilich noch uneins –, so daß die Comics von Barks und Fuchs als authentische Tatsachenberichte angesehen werden, die man demnach geistes- und naturwissenschaftlich auswerten kann. Auf dieser Grundlage wird seit 20 Jahren geforscht, was das Zeug hält... Haben die Ducks Zähne? Gilt die Einsteinsche Relativitätstheorie in Entenhausen? Das Klima, die Hygiene, das Lektüreverhalten, Kriminalität, Gleichstellung, die Botanik, die Fortpflanzung, der Brückenbau – all diese Aspekte der Welt Donald Ducks wurden bereits, bisweilen brillant, beleuchtet. Von dem mit Forschungsberichten vollgestopften Zentralorgan des Klubs, Der Donaldist, erschien unlängst bereits die 103. Ausgabe! Doch wer sind eigentlich die Donaldisten?

„Die Anhänger Donald Ducks sollen sich zu ihrer Mittelmäßigkeit bekennen!“ forderte Gertrud Höhler 1988 bei der Entgegennahme des Ordens wider den tierischen Ernst. Dabei sind die wenigsten Donaldisten mittelmäßig, sondern in der Mehrzahl privilegierte Akademiker – Ärzte, Physiker, Psychologen, Historiker, Mathematiker und FAZ-Redakteure, häufig mit Doktortiteln versehen oder sogar habilitiert. Und die donaldistischen Debatten finden größtenteils auf einem hohen intellektuellen Niveau statt, was andernorts allerdings auch harsche Kritik hervorruft. „Das augenzwinkernde Goutieren der von Erika Fuchs übersetzten und von Carl Barks gezeichneten Donald- Duck-Geschichten erschwert es einem sehr, diese schönsten Sätze, die seit dem Zweiten Weltkrieg in deutscher Sprache geschrieben worden sind, weiterhin öffentlich zu vertreten, ohne sich zu verheddern in dieses eklige, moderne Wohlwollen der vermeintlichen Trivialität gegenüber. Das sich speist aus der Vorstellung, daß man sich ja auch mal damit beschäftigen könne und darüber lachen, kumpelhaft feststellend, fraternisierend einem aufzwingend, daß wir ja alle Menschen sind. Diese Leute haben nie etwas ernstgenommen und sich nie von irgend etwas bewegen lassen und daher auch nicht verstanden, daß Donald Duck Botho Strauß wirklich weit überlegen ist“, klagte Diedrich Diederichsen in „Sexbeat“.

Fürwahr: Die Ente ist Mensch geworden

Doch Donaldismus ist mehr als bloß „augenzwinkerndes Goutieren“, denn der erste Buchstabe der Klubabkürzung steht für eine Mentalität, die sich in einer ausgeprägten Vereinsmeierei ausdrückt. Diese verrät sich schon beim atonalen Absingen der Hymne (beruhend natürlich auf einem Donald- Duck-Text), das jedes offizielle Treffen, auch den alljährlichen, morgen zum 21. Mal stattfindenden Kongreß ein- und ausläutet. Zudem ist eine Gruppe nur dann eine Organisation, wie das Beispiel der Entenhausener Kadergruppe Fähnlein Fieselschweif deutlich macht, wenn ihre Struktur bis in die Brosame funktional differenziert ist. So kommt auf jedes ordentliche Mitglied beinahe eine Unterorganisation, von der C.A.R.L. (den charakterfesten Anhängern richtiger Lebensart) bis hin zur D.Ü.S.E.N.T.R.I.E.B. (Deutsche überregionale Stiftung zur Entwicklung nonkonformistischer Technik durch rastlose Ingeniöre, Erfinder und Bastler) – und insofern gilt die D.O.N.A.L.D. zu Recht als die Pünktchenorganisation der deutschen Klublandschaft.

Da donaldistische Veranstaltungen zudem nicht einfach bloß abgehalten, sondern eben zelebriert werden, benötigt man hierfür Ehrenmitglieds- und Ordenverleihungsausschüsse, PräsidEnten, Kassenwarte und natürlich einen Zeremonienmeister. Denn Donaldismus ist eine ernste Angelegenheit, die selbstredend wie alles in Deutschland auf einer strikten Satzung fußt: „Nur wer in Ordnung lebt, lebt angenehm...“

Aber auch der einfache, alberne Klamauk kommt in der D.O.N.A.L.D. nicht zu kurz. Ihm wird auf den zahllosen Mairennen, Picknicken, Stammtischen und Zwischenzeremonien hemmungslos gefrönt: Comicszenen werden nachgestellt, Seifenkistenrennen gefahren, Maskenbälle abgehalten, Mißwahlen veranstaltet – alles nach Entenhausener Sitte. Und wem das nicht reicht, der spielt noch eine Runde „Ruck Duck“ oder „Donaldistic Pursuit“ – nach irdischem Vorbild! „Die Ente ist Mensch geworden“ (Gottfried Hellnwein), tatsächlich.

Aus dem Dreiecksverhältnis Jux, Intellektualismus und Vereinsmeierei entsteht folglich eine bizarre Mischung: Donaldisten sind zumeist Kaninchenzüchter, Freimaurer und Sektierer in einer Person, weshalb sie auch immer häufiger Gegenstand literarischer und publizistischer Veröffentlichungen werden. Der erste fiktive Donaldist hatte bereits in Eva Hellers Bestseller: „Beim nächsten Mann wird alles anders“ seinen Auftritt: „Albert hat in seinem Leben kein einziges kulturkritisches Essay gelesen. Aber sämtliche Donald-Duck-Geschichten kennt er auswendig! Gekettet an diesen Banausen blieb mir nichts anderes übrig, als auf bessere Zeiten zu warten.“ Und Dietmar Dath notierte in seinem Buch „Cordula killt dich!“ verwundert, daß im Zentralorgan einem Donaldisten, „der deswegen dann austrat, angedroht wurde, er werde ,angepinkelt und verbrannt‘, weil er eine Ehrenjacke, die als Wanderpreis gedacht war, nie an den Verein zurückgegeben hatte“. Wahrscheinlich würden an dieser Stelle jetzt die meisten Donaldisten auf die feine, subversive Ironie ihrer Existenz zu sprechen kommen und mit Donald Duck kontern: „Ja, das kommt von der Übertechnisierung unseres Lebens.“ Und vermutlich hätten sie sogar recht.

Die Ausstellung „20 Jahre Forschung Entenhausen, 20 Jahre gelebter Donaldismus“ ist von heute an bis zum 3. Mai zu sehen im Bilderbuchmuseum, Burg Wissem, 53 840 Troisdorf, Tel: 02241-884 117. Morgen um 12 Uhr Ortszeit wird ebendort der 21. Kongreß der Deutschen Organisation nicht-kommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus, kurz: D.O.N.A.L.D., eröffnet.