Heute abend wird die Leipziger Buchmesse eröffnet. Im Mittelpunkt steht in diesem Jahr Rumänien. Rumänische Schriftsteller suchen die Auseinandersetzung mit der sozialen Realität. Denn auch nach dem Ende der Ceausescu-Diktatur war wenig Rau

Heute abend wird die Leipziger Buchmesse eröffnet. Im Mittelpunkt steht in diesem Jahr Rumänien. Rumänische Schriftsteller suchen die Auseinandersetzung mit der sozialen Realität. Denn auch nach dem Ende der Ceaușescu-Diktatur war wenig Raum für eine Autonomie der Kultur

Rumäniens Künstler melden sich zurück

Wie in Frankfurt gibt es auch auf der Leipziger Buchmesse, die heute abend offiziell eröffnet wird, jedes Jahr einen Länderschwerpunkt. Aber im Unterschied zu Frankfurt richtet man den Blick hier hauptsächlich nach Osten. Nach Tschechien, Polen und dem Baltikum steht 1998 mit Rumänien ein weiteres Land vom „Rand“ Europas im Mittelpunkt, ein Land, das sich im Umbruch befindet.

Seit Emil Constantinescu zum Präsidenten gewählt wurde, scheint der Prozeß der Demokratisierung, der unter seinem Vorgänger, dem Wendekommunisten Iliescu, nur schleppend in Gang kam, voranzukommen. Das Klima ist liberaler geworden, seit Constantinescu, der selbst mehrere Jahre im amerikanischen Exil lebte, alle unter Ceaușescu exilierten Rumänen ausdrücklich eingeladen hat zurückzukehren, um beim Aufbau einer marktorientierten Demokratie mitzuwirken.

Das macht sich auch im kulturellen Sektor bemerkbar. Auch wenn das Kulturministerium momentan in erster Linie die Erhaltung nationaler Kulturdenkmäler fördert, ist seit dem Antritt der Regierung Victor Ciorbea vor etwas mehr als einem Jahr auch in den anderen Bereichen einiges in Bewegung geraten. Die Privatisierung der letzten zehn Staatsverlage beispielsweise ist unmittelbar im Gang, und der Förderung der Minderheitenkultur wird das Feld bereitet. Seitdem erkannt wurde, daß die Krise der posttotalitären Kultur vor allem eine Krise der Institutionen war – deren zentralistische Führung unter der Präsidentschaft Iliescu die gerade erst gewonnene Autonomie der Theater, Museen, Konzerthallen und Verlage gefährdete –, begann man mit den längst überfälligen Dezentralisierungen auch in der Kultur.

Nachdem sich viele Intellektuelle 1990 gleich wieder aus den politischen Gremien zurückgezogen hatten, aus Enttäuschung darüber, daß die alte Nomenklatura auch die neue war, sind momentan zwei Ministerien mit prominenten Intellektuellen besetzt: Der Schauspieler Ion Caramitru amtiert als Kulturminister, und Andrei Pleșu, Philosoph und Universitätsprofessor, ist seit Beginn dieses Jahres Außenminister. Beide sind auch auf der Buchmesse angekündigt.

Untersucht werden sollen in Leipzig unter anderem die Auswirkungen dieser Prozesse auf das Produzieren von Literatur. Es ist eine Literatur, die die Auseinandersetzung mit der sozialen Realität sucht, auch wenn die Zeit der Auseinandersetzung mit dem Ceaușescu-Regime – dessen jahrzehntelange politische Zensur „nicht nur die Kunst, sondern vor allem die Künstler zerfressen hat“ (Pleșu) – vorbei zu sein scheint. Vor allem exilierte Schriftsteller wie Carmen-Francesca Banciu, Herta Müller oder Norman Manea sind es, die sich der Komplexität des Umgangs mit beiden totalitären Systemen und ihren Auswirkungen auf die unmittelbaren Lebensbedingungen stellen.

„Es sind eher die großen Menschheitsprobleme, mythologische Themen, denen sich die Autoren im Moment zuwenden“, sagt der Übersetzer Gerhardt Csejka (s. Interview), der für die inhaltliche Vorbereitung des Schwerpunkts Rumänien mitverantwortlich ist. Anwesend sein werden in Leipzig u. a. Carmen-Francesca Banciu, Mircea Cartarescu, Franz Hodjak und Gellu Naum. Sascha Bunge/Titus Faschina