■ Rußland: Präsident Boris Jelzin entläßt seine halbe Regierung
: Die endlose russische Seifenoper

Jelzins Krankheiten haben es in sich. Wann immer er aus einer Klinik zurückkommt, hat er seinen großen Auftritt als energischer Präsident, der die Regierung herunterputzt. Sie seien zu lethargisch; die Reformen kämen nicht voran, die Gehälter würden nicht rechtzeitig ausgezahlt, die Kriminalität und die Korruption werden nicht energisch genug bekämpft.

Manchmal feuert Jelzin nach diesen Auftritten politische Unterführer. Er hat wieder einmal gezeigt, wer der Herr im Hause ist. Die Bevölkerung soll wissen, daß nicht er an der Misere schuld ist, sondern seine Unterlinge, und daß er nicht bereit ist, deren Unfähigkeit für immer hinzunehmen.

Auch Tschernomyrdin mitsamt seiner Regierung bekam den üblichen Fußtritt hinterhergeschickt. Die Bemerkung, Tschernomyrdin könne sich nun besser auf den Präsidentschaftswahlkampf 2000 vorbereiten, ist sicherlich ironisch gemeint. Jeder weiß doch, daß Jelzin unsterblich ist. Tatsächlich schien Tschernomyrdin 1997 mächtiger geworden zu sein und das Duo seiner beiden reformorientierten ersten Stellvertreter, Anatoli Tschubajs und Boris Nemzow, in die zweite Reihe zu schieben. Es war den beiden Marktwirtschaftlern nicht gelungen, Tschernomyrdins Hausmacht, den Energieriesen Gasprom, in konkurrierende Teile zu zerlegen. Im Gegenteil: Gasprom war mit einem eigenen Fernsehsender zu einem direkten politischen Faktor geworden.

Vor allem hatten die beiden Reformer versucht, einige Quellen der Korruption und der Bereicherung aus staatlichen Kassen zu beschränken. Das hatte ihnen die wütende Feindschaft von Teilen der neuen Superreichen, vor allem von Boris Beresowski eingetragen. Ihm hatten sie den direkteren Zugang zu Staatsgeldern verlegt. Das konnte nicht gutgehen. Tschernomyrdin war schließlich so mächtig geworden, daß er Jelzin einmal öffentlich widersprach.

Etwas Gutes hat die russische Politik auf jeden Fall. Sie ist dynamisch und undurchsichtig. Diese Dynamik steigert sich nun. Wirklich erschreckend war allenfalls Jelzins Drohung, selbst das Amt des Ministerpräsidenten interimistisch übernehmen zu wollen. Aber das ist offenbar abgewendet. Es ist allerdings unwahrscheinlich, daß eine neue Regierung die Reformen so energisch fortführt, wie Jelzin es wieder einmal lauthals verlangt. Auf jeden Fall beginnt im zentralen Kreml-Theater einer neuer, spannender Akt des Stücks Zar Jelzin. Erhard Stölting