■ Der Niedergang der europäischen Revolution von 1848: Wie alles endete und was übrigblieb
: Die bittere Wahrheit über das Badengehen und Bakunins Trick

NOTSTANDSGESETZE: Nach allgemeinen Wahlen – wählen durften nur deutsche Männer – konstituierte sich am 18.Mai 1848 die Nationalversammlung in der Paulskirche. Die Abgeordneten, mehrheitlich Anhänger der konstitutionellen Monarchie, formulierten nicht nur die Grundrechte, wie sie später auch ins Grundgesetz übernommen wurden, sondern auch gleich die Gebrauchsanweisung, wie sie wieder außer Kraft zu setzen seien: bei „Krieg“ oder „Aufruhr“. Die Erfinder der 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze dürften ihnen für diese Vorarbeit ewiglich dankbar gewesen sein.

Doch wie so oft in der Geschichte lohnte sich das Anbiedern nicht: Am 28. April 1849 lehnte der preußische König die von den Abgeordneten angebotene Kaiserkrone „aus Dreck und Letten“ ab. Im Mai versuchten Aufständische in Sachsen, Rheinland, Pfalz und Baden in einem letzten Aufbäumen, ihre Regierungen zur Annahme der paulskirchlichen Reichsverfassung zu zwingen. Vergeblich. 1850/51 war alles vorbei, die Grundrechte wieder abgeschafft, alle Vereine verboten, viele Demokraten im Knast, Zensur und Spitzelwesen grassierten. Zehntausende emigrierten desillusioniert in die USA.

WRANGEL-KASERNEN: Von all den Barrikaden, die die Berliner am 18. März 1848 errichteten, hatten die preußischen Truppen im Morgengrauen des 19. März erst jede zehnte erobert. König Friedrich Wilhelm IV. mußte den Rückzug anordnen. Seine Schmach wurde noch größer, als eine empörte Menge ihn am 22. März zwang, sich vor den rund 200 „Märzgefallenen“ zu verneigen, die in einem großen Trauerzug zum Friedhof gebracht wurden. Kein Wunder, daß die Zugeständnisse, die der König den Aufständischen machte, nur einen kurzen Sommer lang währten: Volksbewaffnung, Aufhebung der Zensur, Einberufung einer Nationalversammlung der Preußen. Am 10.November besetzte General von Wrangel mit 40.000 Soldaten Berlin, entwaffnete die Bürgerwehr und rief den Belagerungszustand aus. Die preußische Nationalversammlung wurde nach Brandenburg verlegt und am 5. Dezember schließlich aufgelöst. Noch am selben Tag oktroyierte der preußische König eine Verfassung, die später als „preußisches Dreiklassenwahlrecht“ berühmt werden sollte. Aus Dankbarkeit überzog die Bourgeoisie das Land mit Wrangel-Kasernen, Wrangel- Straßen und Wrangel-Denkmälern.

GASTHOF-PARTEIEN: Die Paulskirchler kannten noch keine festgefügten politischen Parteien im heutigen Sinne, wohl aber Fraktionen, die sich nach den verschiedenen Gasthöfen benannten, in denen sie das Wohlsein und Debattieren übten. Die Grünen, das war mehr oder weniger der Donnersberg, die SPD der Deutsche Hof, die FDP der Württemberger Hof, die CDU das Casino und die CSU das Steinerne Haus. Und die PDS? Keine Ahnung.

BAKUNINS TRICK: Um die Reichsverfassung der Paulskirche zu retten, rief der Dresdner Vaterlandsverein am 3. Mai 1849 zur bewaffneten Demonstration auf. Das Zeughaus wurde gestürmt, König Friedrich August II. floh aus der Stadt. Auf den Barrikaden standen unter anderem: Hofbaumeister Gottfried Semper, Kapellmeister Richard Wagner und der russische Anarchist Michail Bakunin. In der sicheren Überzeugung, das Bürgertum werde seine eigenen Kunstschätze schonen, behängte Bakunin „seine“ Barrikaden mit den Gemälden einer Kunstgalerie. Ein Trick, der bei der drohenden Räumung der Berliner „Putte“ 1974 wieder angewandt wurde. Letztlich half aber auch das nichts: Preußische Truppen brachten den Aufstand blutig zu Fall.

RADETZKYMARSCH: In Österreich war der Sieg der Revolution unschwer an Walzern und Märschen erkennbar: Johann Strauß' Sohn wurde im Mai 1848 zum Kapellmeister der Nationalgarde ernannt und komponierte gar schnell den „Revolutions- Marsch“ und die „Barrikadenlieder“. Doch im Walzertakt gerieten sich die Freiheitskämpfer in die Haare: Will man nun die konstitutionelle Monarchie oder die Republik, die nationale Selbstbestimmung für alle Völker der Habsburgmonarchie oder ein demokratisches Großdeutschland? Als Aufständische in Wien am 5. Oktober den Abmarsch von Truppen verhinderten, die gegen die ungarischen Freiheitskämpfer eingesetzt werden sollten, floh Kaiser Ferdinand nach Mähren. Aber schon wenige Tage später eroberten die kaiserlichen Truppen Wien blutig zurück. Der Oberkommandierende der Verteidiger Wiens, der Dichter Wenzel Caesar Messenhauser, weigerte sich zu fliehen und stellte sich den Behörden. Im inbrünstigen Glauben, als Held in die Geschichte einzugehen, erschien er zu seiner Hinrichtung im schwarzen Samtrock und erbat sich, selbst das Kommando geben zu dürfen: „Habt acht! Fertig! Schlagt an! Feuer!“ Doch es gibt keine Gerechtigkeit: Nicht er, sondern Generalfeldmarschall Radetzky erbte den Ruhm.

Radetzky war zwar am 19. März 1848 mitsamt seinen 14.000 Soldaten aus dem aufständischen Mailand vertrieben worden, konnte dort im August jedoch triumphierend wieder einmarschieren. Ein Jahr später zogen die Österreicher auch wieder in die Toskana und in Venedig ein. Italien mußte noch bis 1871 warten, um zur nationalen Einheit zu kommen. Und Johann Strauß junior mochte Barrikadenlieder komponieren, soviel er wollte, der Radetzkymarsch des Vaters, die Huldigung eines der schlimmsten Schlächter der Revolution, ist unvergessen.

ERSTE FRAUEN-TAZ: Die Märzrevolution war auch eine Revolte der Frauen. Am 6. April 1848 organisierten Leipzigs Dienstmädchen einen Kongreß zur Beratung ihrer Arbeits- und Lebensverhältnisse. Am 20. Mai machte Luise Otto, Begründerin der „ersten“ oder auch „bürgerlichen Frauenbewegung“, gänzlich unbürgerlich in der Leipziger Arbeiter Zeitung auf das Elend der Arbeiterinnen aufmerksam. Und am 27.September erschien als Fortführung der Neuen Kölnischen Zeitung die erste rein weibliche Tageszeitung der Geschichte: Mathilde Annekes Frauen-Zeitung.

ENDE EINES BAYERNKÖNIGS: Ludwig I. mußte am 19. März 1848 aufgrund des Skandals um seine Geliebte Lola Montez abdanken und die Krone an seinen Sohn, Maximilian II., übergeben. Die Montez wurde der Stadt verwiesen, wanderte später nach Amerika aus, wo sie in San Francisco, New York und New Orleans mit weiteren Affären Schlagzeilen machte. Die Monarchie nahm in Bayern nicht den geringsten Schaden.

BADEN GEHEN: Postmoderne Strukturetymologinnen verweisen in neuesten Untersuchungen auf den historischen Ursprung des Sprichworts „Baden gehen“: Damit seien nicht etwa unfreiwillige Näßlichkeiten gemeint, sondern die drei vergeblichen Aufstände in Baden: Am 20. April 1848 wurde Friedrich Heckers Zug der Aufständischen besiegt und am 27. April die „Deutsche Legion“ des Dichters Georg Herwegh geschlagen; am 21. September rief Gustav Struve in Lörrach die „deutsche soziale Republik“ aus und wurde mit seinen Freiwilligen drei Tage später in Staufen vernichtend besiegt; im Mai 1849 führte Armand Goegg den dritten Aufstand an, der trotz solcher illustrer Mitkämpfer wie Friedrich Engels am 23. Juli mit dem Fall der letzten aufständischen Festung Rastatt und mit Erschießungen und harten Zuchthausstrafen endete. Truppenführer der Sieger war der preußische „Kartätschenprinz“ Wilhelm I., später unser lieber Kaiser Wilhelm.

KEIN ABM MEHR: Nach Einführung des gleichen und geheimen Wahlrechts – natürlich nur für Männer – durch die provisorische Regierung fanden Ende April 1848 in Frankreich nationale Wahlen statt. Liberale und Konservative gewannen, Sozialisten wie Louis Blanc schieden aus der Regierung aus. Die Gesellschaft polarisierte sich. Weil sie angeblich unproduktiv waren, wurden im Juni die staatlichen Nationalwerkstätten für Erwerbslose in provozierender Weise aufgelöst. Zehntausende von Arbeitern hielten vier Tage lang der soldatischen Übermacht stand. 3.000 Tote blieben zurück, Hinrichtungen und Deportationen folgten, 15.000 Menschen emigrierten. Bei den Präsidentschaftswahlen vom 10. Dezember gewann Prinz Louis Napoleon. Karl Marx kommentierte: „Es geschah, daß der einfältigste Mann Frankreichs die vielfältigste Bedeutung erhielt. Eben weil er nichts war, konnte er alles bedeuten, nur nicht sich selbst.“

Die Junischlacht wurde zum Wendepunkt der europäischen Revolution: Frankreich war nicht weiter das leuchtende revolutionäre Vorbild, Preußen und Österreich konnten bei der Niederschlagung der Freiheitskämpfe ungehindert vorgehen.

BEISSENDER QUALM: Die Aufhebung des Rauchverbots auf öffentlichen Straßen und Plätzen ist weit und breit die einzige Errungenschaft der 1848er-Revolution, die uns erhalten blieb. Ihren Wert zweifeln manche an. Ute Scheub