Entschlackte Dichterin

■ Der amüsante Marguerite-Duras-Abend „Das tägliche Leben“auf Kampnagel

„Du hast mir wirklich zugehört.“Die Frau auf dem Bett staunt. Wiederholt doch der Mann, der bislang so gleichgültig an der Tür stand und sich rasierte, wortwörtlich ihren nicht gerade einfachen poetischen Monolog. Ob er ihn allerdings verstanden und nicht nur papageienhaft nachgeplappert hat, ist eine andere Frage. Denn Männer und Frauen, so das Credo des so amüsanten wie intelligenten Marguerite-Duras-Abends auf Kampnagel, leben auf Sternen, die Lichtjahre voneinander entfernt sind.

Da erzählt eine Frau von Wahnsinn und Einsamkeit, während der Mann neben ihr auf dem Sofa auf „eine geile Geschichte“scharf ist. Da stolzieren drei Männer wie eitle Gockel über die Bühne und lassen die Hüften lasziv nach vorne kreisen – bis eine Frau die Balzhähne auf spanisch zusammenbrüllt. In Sekundenschnelle werden aus echten Kerlen ängstliche Jungs. Erst als die Frau verschwindet, wagt einer den Mund aufzumachen und nölt: Die hat doch 'nen Knall.

Der Kampf der Geschlechter, die Unmöglichkeit der Liebe war immer ein Thema für Marguerite Duras. Aus Texten der 1996 gestorbenen Schriftstellerin und Regisseurin ist die Szenencollage Das tägliche Leben zusammengestellt, die in Koproduktion mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin zu sehen ist. Regisseurin Carolin Mylord hat autobiografische und gesellschaftskritische Notizen der Duras mit Musik, Tanz und komödiantischen Einlagen zusammengemixt. Kenner mögen vom assoziativen Umgang mit Leben und Werk der Kommunistin und Widerstandskämpferin enttäuscht sein. Doch wer neben klugen Gedanken auch Spaß versteht, kommt auf seine Kosten.

Die vier Frauen und drei Männer auf der zur Hotelhalle stilisierten Bühne reden, tanzen und singen über Lust und Leid, Verzweiflung und Einsamkeit. Annekathrin Bürger als gealterte Duras hält einen beeindruckenden Monolog über den Alkoholismus. Lässig auf dem Klavier sitzend, analysiert sie auf eine Zigarettenlänge nüchtern ihr lebenslanges Suchtverhalten. So wie dieser glasklare Text gerade ohne zusätzliche Showeffekte berührt, so findet Carolin Mylord durchweg stimmige Bilder. Sie sind nicht immer besonders originell, bestechen aber durch Einfachheit. Zu politischen Reden der Duras hauen die Frauen etwa mit der Faust kräftig auf den Tisch. Sie reden sich in Rage, plustern sich auf, gackern wie die Hühner. Trotz dieser ironischen Brechungen wird die Duras in ihrem feministischen Engagement nie diskreditiert. Ihre eigenwillige Sprache fällt keiner platten Komik zum Opfer.

Im Gegenteil, die Aufführung schafft es, manches Pathos auf amüsante Weise zu entschlacken.

Karin Liebe

noch Sonnabend und Sonntag