Prêt-à-porter
: Kein Sex

■ Bikkemberg, Kayek und Dries van Noten gehen in die Details

Es ist aus mit der Retromode, erklärt Guccis Tom Ford in der Märzausgabe von Vanity Fair. Bleibt die Frage: Was ist modern? Bei den Schauen in Mailand letzte Woche zeigten Designer reihenweise schlichte tragbare Kleider mit interessanten Details. Plötzlich sind alle am Experimentieren. Welche Möglichkeiten stecken in einem Kragen? Was können asymmetrische Schnitte für ein Décolleté tun? Es ist schon ulkig! Beim Dekonstruieren wollte keiner so recht dabeisein. Aber neu konstruieren wollen sie alle. Selbst Prada zeigte ungemusterte Mäntel aus Stoffquadraten, die nur an den Ecken zusammengesetzt zu sein schienen.

In Paris sah es in den ersten zwei Tagen so aus, als sei die Kluft zu Mailand bedenklich zusammengeschrumpft. Dirk Bikkembergs zum Beispiel zeigte klassische, leicht taillierte Kostüme und Anzüge aus grauem Wollstoff. Eine Jacke wurde vorn zusammengehalten mit einer riesigen Hutnadel, eine andere hatte große Seitentaschen aufgeknöpft. Die knielangen Röcke hatten hinten einen Schlitz, so daß man bequem darin gehen kann. Dazu trugen die Models oberschenkellange Stiefel aus weichem schwarzem Leder, deren Fuß ganz unsexy die Form eines Laufschuhs hatte. Auch bei den Lederanzügen und -mänteln galt: kein Sex. Oder jedenfalls nicht sofort. Die Hosen waren wie schmale Jeans geschnitten, ohne hauteng zu sein. Die Mäntel waren knielang und gerade. In der Form erinnerten sie ein bißchen an die 60er, ohne daß ein Detail Retromode daraus machte. Man kann die Ledersachen am besten durch das beschreiben, was sie nicht haben: keinen Rockerchic, keinen sexy Chic, keine damenhafte Eleganz.

Dasselbe Phänomen bei Dice Kayek: Ihre kurzärmeligen, leicht taillierten Kleider in Schwarz, Rot oder Grau erinnerten aus der Ferne an die 60er, hatten aber vorn schöne Drapees, die von Stoffriemen festgehalten wurden. In die vorderen Seitennähte ihrer Jacken waren unsichtbare Taschen gearbeitet, und einige der knielangen Mäntel hatten hohe dandyhafte Kragen, wie sie nur bei Hemden üblich sind.

Dries van Notens moderne Nomaden hatten diesmal eine flatterhafte Eleganz, so daß man sie lieber Reisende nennen möchte. Bunt bedruckte Röcke aus dünner Seide waren gewickelt und an der offenen Längsseite mit einem Volant versehen. Andere waren weit, bodenlang und aus steifem changierendem Taft. Sah ein bißchen nach Mutter Courage aus, wegen der Reitstiefel, die die kräftig ausschreitenden Models dazu trugen. Die Jacketts hatten meist ein Pfeffer- und-Salz-Muster, schräge Klappentaschen und waren an den Ärmeln mit roten oder schwarzen ornamentalen Mustern bestickt. Der Ärmelsaum war leicht ausgeschnitten und mit einem schmalen Lederband eingefaßt. Gelegentlich war ein Kragen hochgestellt, so daß man die akkurat eingearbeitete Verstärkung an der Unterseite sehen konnte. Immerhin kommt van Noten aus derselben Schule in Antwerpen wie Margiela. Die Jacken hatten außerdem an der Seite so eine Art Flügel — breite Stoffstreifen, die beim Gehen hinterherflatterten oder über dem Bauch zusammengelegt und mit einem Ledergürtel festgehalten wurden. Das erinnerte gleichermaßen an die breiten japanischen Kimonogürtel und einen Nierengurt, wie ihn Motorradfahrer tragen. Die schwarzen Mäntel waren aus dickem Wollstoff mit rotem oder braunem Pelzbesatz an Ärmeln oder zwei großen Pelzvierecken am Mantelsaum. Das hält warm, auch wenn das Kleid darunter aus dünnem Baumwollcrêpe ist. Der moderne Mensch ist eben eine komplexe Persönlichkeit: Heute fährt er 1. Klasse im Orientexpreß, morgen muß er zu Fuß gehen. Anja Seeliger