Griechenlands Rolle im Kosovo-Konflikt wächst

■ Makedonien und Albanien hoffen auf die guten Dienste Athens. Die Regierung Simitis ist an einer friedlichen Lösung interessiert. Sonst ist die Achse Athen–Tirana–Skopje gefährdet

In der größten Athener Wochenzeitung, Vima, legten am Sonntag zwei Gastkolumnnisten ihre Ansichten zur Kosovo-Krise dar. Fatos Nano und Branko Crznowski, die Regierungschefs von Albanien und Makedonien, beschworen übereinstimmend die Notwendigkeit, eine friedliche Lösung zu finden und die Grenzen nicht in Frage zu stellen.

Die beiden Artikel sind kennzeichnend für den Stand der Beziehungen zwischen Athen und Tirana bzw. Skopje. Die sind heute so gut, daß Griechenland von beiden Nachbarn als potentieller Vermittler in einer Krise gesehen wird, die den ganzen südlichen Balkan destabilisieren könnte. Griechenland grenzt zwar nicht an den Kosovo, aber wenn die Krise auf Albanien und Makedonien übergreift, wird der Konflikt gegen die griechische Nordgrenze drücken, zumindest in Gestalt von Flüchtlingsströmen.

Athen hat also ein vitales Interesse, die Kosovo-Krise einzudämmen. Die griechische Regionaldiplomatie kann dabei eine begrenzte, aber nützliche Rolle spielen, zumal Griechenland derzeit auch den Vorsitz in der WEU innehat. Wichtig ist aber vor allem, daß Griechenlands Beziehungen zu Tirana und Skopje heute mindestens so gut sind wie sein Verhältnis zu Belgrad. Das war vor einigen Jahren anders. Bis 1994 waren die Beziehungen zu beiden Nachbarstaaten so gespannt, daß die EU-Partner fürchten mußten, Athen könnte bei einem Konflikt im südlichen Balkan auf eigene Rechnung mitmischen, statt zu schlichten.

Noch 1993 trat die Regierung Mitsotakis gegenüber Tirana mit der Forderung nach Autonomie für die griechische Minderheit in Südalbanien auf, das eine extremistische Lobby als „Nordepirus“ annektieren wollte. Was das vormals jugoslawische Makedonien betrifft, so engagierten sich selbst griechische Regierungsmitglieder in der Debatte, wie der angeblich „nicht lebensfähige“ Nachbarstaat zerstückelt werden könnte.

Heute ist alles anders. Trotz Differenzen in der Namensfrage sind die Beziehungen zwischen Athen und Skopje fast schon so eng wie die Busenfreundschaft zwischen den Regierungen Nano und Simitis. Selbst die feurigsten Populisten im griechischen Makedonien haben verstanden, daß man den Nachbarstaat erfinden müßte, wenn es ihn nicht schon gäbe.

Vor diesem Hintergrund hat eine neue Balkanpolitik der Simitis-Regierung dazu geführt, daß Athen in Tirana und Skopje als vertrauenswürdiger Partner geschätzt wird. In Skopje wurde besonders beachtet, daß Griechenland sich in Sofia dafür eingesetzt hat, Makedonien in eine Kosovo- Initiative einzubinden, die Bulgarien zunächst nur als Vorstoß der großen Balkanländer (Griechenland, Türkei, Rumänien, Bulgarien) konzipiert hatte. Was Albanien betrifft, so hat Simitis schon im November 1997 beim Balkangipfel in Kreta ein Gespräch zwischen Milošević und Nano zustande gebracht, das aber folgenlos blieb.

Das zeigt, daß man auch in Athen kein Patentrezept hat. Außenminister Pangalos konnte letzte Woche in Belgrad nur dieselben Prinzipien anmahnen, die die EU-Spitze als Lösungsformel anbietet: Wiederherstellung der Autonomie des Kosovo und Ablehnung eines unabhängigen Staates, weil man auf dem Balkan grundsätzlich keine Grenzen verschieben will. Diese Formel ist besonders für die Regierung in Skopje wichtig, für die selbst eine „verstärkte Autonomie“ für die Kosovo-Albaner problematisch wäre, die in einem bulgarisch-türkischen Papier vorgeschlagen wurde. In Skopje ist man allergisch gegen jede Ermutigung für die Autonomie-Ambitionen der eigenen albanischen Minderheit.

Ein Exodus von Flüchtlingen aus dem Kosovo in Richtung Süden wird in Athen auch aus einem weiteren Grund gefürchtet. Die makedonischen Behörden haben für den Ernstfall Pläne vorbereitet, wonach Albaner aus dem südlichen Kosovo über einen militärisch gesicherten Korridor nach Südalbanien „durchgeschleust“ werden sollen. Man will damit verhindern, daß die albanische Minderheit in Makedonien durch Kosovo-Albaner aufgefüllt wird. Gegen diesen Plan hat Tirana heftig protestiert. Für die Regierung Nano ist es ein Alptraum, den Südosten Albaniens durch Flüchtlinge aufmischen zu lassen, die viel eher mit der Opposition der Berisha- Demokraten sympathisieren. Würde die Kosovo-Krise sich verschärfen, wäre Athen mit einem Konflikt zwischen Albanien und Makedonien konfrontiert, der das sorgfältig austarierte Gleichgewicht im Dreieck Athen–Tirana– Skopje erheblich belasten könnte. Niels Kadritzke