Jobs für Deutsche in Amsterdam

■ Dem niederländischen Jobwunder gehen die Arbeitslosen aus. Doch die wachsende Zahl der Teilzeitstellen könnte langfristig die Finanzierung des Sozialsystems gefährden, warnen Kritiker

Amsterdam (taz) – So hatten sich die Niederländer ihr vielbeschworenes Jobwunder eigentlich nicht vorgestellt: Eine Versicherungsgesellschaft bietet jetzt 1.000 Gulden Prämie, wenn es gelingt, einen neuen Kollegen anzuwerben, eine Werbeagentur überreicht gleich beim Bewerbungsgespräch den Dienstwagen. Die Zeitschrift Intermediair, Stellenmarkt für gut ausgebildetes Personal und Akademiker, setzt ihre Inserenten auf eine Warteliste und gibt demnächst Sonderausgaben heraus.

Zumindest in einigen Bereichen ist Arbeit knapp geworden in den Niederlanden: Stukkateure werden inzwischen aus England importiert, Stahlarbeiter aus dem früheren Jugoslawien. Tausende Krankenschwestern und Pfleger sollen in den kommenden Jahren angeworben werden.

Und was liegt da näher als der Blick über die östliche Grenze? „Holt die Deutschen hierher“ titelte vor einigen Tagen die Tageszeitung Trouw. Die Vereinigung der kleinen und mittleren Betriebe (MKB) hatte Alarm geschlagen und angeregt, sich einmal bei den Nachbarn umzusehen. Angesichts von 100.000 unbesetzten Stellen bliebe sonst nur der Weg zurück in die 40-Stunden Woche – ein Schritt, der nicht nur von Arbeitsminister Ad Melkert rundweg abgelehnt wird.

Die niederländischen Arbeitsmarktzahlen sind in der Tat beeindruckend: Allein in den letzten vier Jahren wurde eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen – bei fünfzehn Millionen Einwohnern. Die Arbeitslosenquote liegt bei unter fünf Prozent.

Dahinter steht eine ganze Reihe von Bündnissen zwischen Gewerkschaften, Arbeitnehmern und der Regierung: Die Gewerkschaften haben sich zur Lohnsenkung bereit erklärt, während die Arbeitgeber Stellen geschaffen, Schulungen und Kinderbetreuung organisiert haben. Der Staat hat die Steuern gesenkt, um die Lohnsenkung aufzufangen, sowie massive Kampagnen für Teilzeitarbeit geführt: 67 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer haben inzwischen Teilzeitstellen. Zur Zeit wird in Den Haag ein Gesetzentwurf diskutiert, der das Recht auf Teilzeit festschreiben soll. Schon jetzt darf der Arbeitgeber die Umwandlung einer vollen Stelle nur ablehnen, wenn er „gute Gründe“ dafür vorweisen kann.

Zusätzlich hat der Staat aber auch eigenhändig jede Menge Stellen geschaffen: 40.000 sogenannte Melkert-Jobs sollen bis Ende des Jahres Langzeitarbeitslose auf Staatskosten wieder an die Arbeit bringen. Sie werden vor allem im kollektiven Sektor eingerichtet: Seit es Melkert-Jobs gibt, haben Straßenbahnen ihren eigenen Kontrolleur, verfügen viele öffentliche Gebäude über Rezeptionisten und öffentliche Denkmäler über ihre eigenen Pfleger. Doch auch ein Teil der Kinderbetreuung und Pflege wird mit derartigen Stellen abgewickelt. Ein Melkert- Job kostet den Staat 35.000 Mark im Jahr, der Arbeitnehmer erhält den gesetzlichen Mindestlohn von etwa 2.000 Mark brutto im Monat. So, freut sich der Gesetzgeber, würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Arbeitslosigkeit sinkt – und das auch noch durch gesellschaftlich sinnvolle Arbeit.

Diejenigen, die die Arbeit machen, halten sie oft allerdings für alles andere als sinnvoll: Die Klagen derer, die „endlich etwas tun wollen, wovon man auch merkt, daß ich es tue“ – wie es einer ausdrückt, der „den Entwerterautomaten ersetzt“ –, werden immer lauter. Doch auch jenseits der staatlich eingerichteten Arbeitsplätze ist die Zukunft über das „Poldermodell“ in vollem Gange. „Wir haben fast nur Teilzeitstellen geschaffen“, sagt Rick van der Ploeg, finanzpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Regierungspartei PvdA. „Auf Dauer ist es aber wichtig, daß die Menschen länger arbeiten – nur so können wir unser Sozialsystem erhalten.“

Und auch viele Arbeitnehmer sind nicht zufrieden mit dem, was am Ende des Monats herauskommt: Das Durchschnittseinkommen in den Niederlanden ist niedriger als in allen umliegenden Ländern. Laut einer Umfrage würde jeder dritte gerne wieder länger arbeiten. Und last, but not least: Welcher Niederländer wünscht sich schon die Rückkehr der Deutschen – diesmal in Form einer Arbeitslosenarmee? Jeannette Goddar