■ Nebensachen aus Buenos Aires
: Rotlichtsünder, Unschuldsmienen, Säue am Steuer

Das Geschrei war groß, der Ärger unfaßbar, und der Boulevardkanal Crónica TV berichtete live. Denn Cecilia verstand die Welt nicht mehr. Die junge Frau hatte zu Fuß eine Straße überquert – bei Rot. Und jetzt wurde sie von drei Polizisten allen Ernstes dazu angehalten, 400 Pesos (umgerechnet 700 Mark) Strafe zu bezahlen. Als die Beamten hartnäckig ihr Geld einforderten und Name, Anschrift, Telefon- und Ausweisnummer in ihren Strafenblock pinselten, da dämmerte es Cecilia, daß das Ganze mit schlechtem Humor wenig zu tun hatte. Sie verlangte ihren Anwalt, doch juristisch ist wenig zu wollen, denn in der argentinischen Straßenverkehrsordnung steht tatsächlich, daß Fußgänger bei Rot stehenzubleiben haben.

Mit dem Argument, weder Fußgänger noch Autofahrer hielten sich normalerweise an Verkehrsregeln, kam Cecilia nicht durch, da sie ja inflagranti erwischt wurde, was sie nur noch wütender machte. „Ein Skandal“ sei das ganze, „weltfremd und dummdreist“ die Polizisten. Die Fernsehkameras haben auch die Bezeichnung „Arschloch“ aufgefangen.

Um laufenden Rotsündern saftige Strafen aufzubrummen, war an diesem Tag eine ganze Sondereinheit der Polizei losgezogen. In der Nähe des Justizpalastes plazierten sie sich mit Unschuldsmiene an Fußgängerampeln, um abzustrafen. Das klingt nach einer klassischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – allerdings haben sich die Befehlsgeber in der Klientel getäuscht. Denn das Problem im Ortsverkehr von Buenos Aires sind nicht die Fußgänger.

Wer hier richtig kriminell ist, hat vier Räder unter seinem Hintern und ein Lenkrad in der Hand und rast abends mit 140 Kilometer pro Stunde die achtspurige Avenida Libertador herunter. Beim Abbiegen schert sich der Autofahrer in Buenos Aires einen Dreck um Fußgänger. Im Gegenteil, wenn er sieht, daß da gerade wieder einer herumspaziert, sieht er Rot, also Grün, und gibt Gas.

Die Sau am Steuer ist in Buenos Aires übergeschlechtlich. Ob Mann oder Frau – das Scheißefahren ist ein Sport für die ganze Familie, und es kann ja auch Spaß machen. Auch Klassen kennen die Autofahrer nicht: Ob neuer Alfa Romeo oder alter durchgerosteter Simca mit schleifender Stoßstange, alle sehen in Fußgängern ihren natürlichen Feind. Ihre Opfer sind ja selbst schuld. Was laufen sie auch zu Fuß?

Noch weniger Verkehrsregeln gelten für die Busfahrer. Sie blinken links, um dann rechts abzubiegen, rammen Autos, nieten Mülleimer und andere Hindernisse um, fahren Zickzack auf der Straße, wechseln mit Bleifuß auf dem Gaspedal von der vierten auf die erste Spur, lassen beim Anfahren die Kupplung schnalzen, daß das ganze Gefährt einen wilden Satz nach vorn macht, um nach drei Metern wieder volle Kanne auf die Bremse zu latschen. Wer unter solchen Umständen zu Fuß an einer Kreuzung steht, sorgt sich mehr um sein Leben, als um ein kleines rotes Licht.

All das hilft im Streitfall nicht. Und Cecilia kam noch gut weg. Die Bandbreite der Strafen an diesem Tag reichte von 100 bis 1.000 Pesos. Ingo Malcher